Dienstag, 7. April 2009

Existenzielle Psychotherapie – Irvin D. Yalom

Gestern Nachmittag lag ich in der Sonne am See, genoss das Geräusch des plätschernden Wassers, die aufblühende Landschaft und die Freude der Leute um den einziehenden Sommer. In dieser angenehmen Umgebung habe ich dann auch die finalen Seiten des Buches gelesen, welches mich die letzten zwei Wochen stark beschäftigt hat (und vermutlich auch noch lang beschäftigen wird).


Nach den beiden Romanen (Die Schopenhauer-Kur sowie Und Nietzsche weinte), welche ich von Yalom gelesen habe, hatte ich Lust auf dieses Werk bekommen, denn es ist einerseits Yaloms Erzählstil, der sehr viel Kurzweiligkeit in seine Texte bringt, sowie seine Sichtweise auf unsere Welt, die ich in vielen Dingen sehr bereichernd und erfrischend finde. Zwar darf man Yalom durchaus zur Gilde der Analytiker zählen, doch er schafft es, das stark Vergangenheitsgeprägte und deterministische Weltbild der Analytik zu entwurzeln und in einem, für unsere Zeit fruchtbareren Boden neu anzusiedeln.

So spricht Yalom selbst auch nicht von einer neuen formellen Schule, geschweige denn einer neuen Organisation mit Namen 'Existenzielle Psychotherapie'. Vielmehr erkennt er das Potential des Handwerkszeugs verschiedener Psychotherapeutischer Schulen (obwohl er klar analytisch denkt und agiert, geht er doch des Öfteren in andere Ansätze wie Gestalttherapie oder systemische Therapie über und beleuchtet auch diese) an, legt ihnen jedoch eine neue existenzielle Sichtweise zu Grunde. Eine Sichtweise, die in meinen Augen der heutigen Gesellschaft um einiges gerechter wird, als die Sichtweisen der klassischen Analytik, die parallel zum Ausbruch des Fin de Siècle aus einer fast schon Viktorianisch geprägten Gesellschaftsordnung entstanden ist.

Aus was besteht also dieser neue Boden? Für Yalom sind es ganz existenzielle Dinge wie Tod, Freiheit, Isolation und Sinnlosigkeit, mit denen wir als Menschen schon sehr früh konfrontiert werden und somit auch bereits in diesen frühen Jahren lernen müssen damit umzugehen. Oft bewältigen wir diese herausfordernde Aufgabe, indem wir die Angst, die von solch existenziellen Dingen ausgeht, in eine konkrete Furcht umwandeln, welche sie fassbar und handhabbar macht. Aufgrund der Tatsache, dass sich der Mensch jedoch weiterentwickelt, entsteht aus dieser Übersetzung von Angst in Furcht eine Verschiebung, die meist wachstumshemmend wirkt. Die daraus entstehende Dynamik der Wachstumshemmung versucht Yalom mittels seines existenziellen Ansatzes an die Wurzeln der Angst zurückzuführen, um sich dieser Angst erneut, aber diesmal mit einer grösseren Weisheit und Mächtigkeit zu stellen, als man das im frühen Alter konnte. Nun erkennt man auch, dass es sich nicht um eine neue psychologische Methode handelt, sondern um bewährte und bekannte Methoden verschiedener Richtungen, welche im Lichte einer neuen Fragestellung (Tod, Freiheit, Isolation und Sinnlosigkeit) breitere Farbenvielfalt zeigen.

Im Folgenden geht Yalom sehr detailliert auf jedes der vier Themenbereiche ein. Im ersten und längsten Kapitel über den Tod beleuchtet er das Faktum, dass der Mensch sehr viel Lebensenergie darauf verwendet, die Todesangst, welche sich schon in frühen Jahren gebildet hat, zu verleugnen. Auf der Basis der weit reichenden Wirkung dieser Angst beschreibt Yalom plastisch an vielen klinischen Beispielen, wie verzwickt die sich daraus ergebenden Verschiebungen sein können und wie aufmerksam ein Psychotherapeut im Gegenzug sein muss, um sich dieser Thematik erfolgreich zu nähern. Über die Jahre hinweg haben sich jedoch für Yalom zwei Grundtypen dieser Verschiebungen herauskristallisiert.

Zum Einen ‚Der Glaube an die eigene Unverletzlichkeit und Besonderheit’ und dem daraus resultierenden Streben nach Autonomie, Macht, Effizienz und Kontrolle. Also Werte, die man in vielen Bereichen unserer Gesellschaft antrifft und die durchaus Schatten ein und desselben (existenzialistischen-) Feuers sein mögen.

Zum Anderen beschreibt Yalom ‚Den Glauben an den letzten Retter’, der ursprünglich stark im religiösen Kontext zum Tragen kommt, sich jedoch in der heutigen säkularen Gesellschaft auch auf andere Weise bemerkbar macht. So tritt heute oftmals ein Partner, die Eltern oder ein anderes (manchmal schwächeres, manchmal stärkeres) Individuum an die Stelle des letzten Retters, oder wird sogar vom Patienten dorthin berufen, ohne sich im Genauen über diese Funktion bewusst zu sein.

Wenn man speziell die Verschiebung 'des letzten Retters' betrachtet, so kommt man schnell zum zweiten grossen Teil in Yaloms umfassenden Werk - der Freiheit. Denn parallel mit dem Aufbau eines pathologischen Machtgefälles, welches Grundlage für diese Lebensbewältigungsstrategie ist, geht die Ablehnung der Verantwortung für sein eigenes Leben einher. In mir bis daher nicht bekannter Plastizität, führt Yalom einerseits in diese existenzialistische Sichtweise anhand verschiedener literarischer texte ein, während er gekonnt den Bogen in die Psychotherapie spannt und diesen mit wirklich interessanten Fallbeispielen untermauert. Es ist wunderbar zu lesen, wie Yalom die philosophischen Ansätze von Denkern wie Nietzsche, Camus, Sartre (1, 2, 3, 4, 5) oder Heidegger mit alltäglichem Menschenbezug anreichert und sie so in meinen Augen regelrecht vervollständigt. Jeder, der den Texten der oben genannten Philosophen etwas abgewinnen kann, wird von diesem Kapitel begeistert sein. Für mich waren die Texte zur Freiheit, oder besser gesagt, deren Bedrohung der art, dass sie uns die volle Verantwortung für unser Leben in lediglich unsere beiden, manchmal schwachen, Hände legt enorm interessant.

Im Abschnitt über die Isolation beleuchtet der Autor neben der interpersonalen und intrapersonalen Isolation hauptsächlich die spezielle Form der existenziellen Isolation und zeigt ihre möglichen Ausdrucksmöglichkeiten durch eine der vorherig genannten Arten der Isolation. Eng verwandt mit der Last der Freiheit, die wir zu manchen Zeiten gerne in die Hände Anderer, uns wohl gesonnener Menschen legen würden, ist auch die Last der letztendlichen Einsamkeit mit sich selbst, die nur vordergründig durch die Anwesenheit eng verbundener Menschen gelindert wird. Yalom zeigt auch hier wieder anhand eindrücklicher klinischer Fallbeispiele und vieler Referenzen, dass es tatsächlich eine Grundlage für eine wachstumsorientierte Beziehung zu anderen Menschen ist, diese existenzielle Angst der Isolation und die anderen Arten der Isolation zu entflechten und diese als das zu erkennen, was sie wirklich sind.

Der letzte grosse Abschnitt in Yaloms Werk widmet sich dem Sinn, oder in seiner pathologischen Ausprägung, der absoluten Absenz des Sinnes, wobei er sich stark auf das Gedankengut von Viktor Frankl bezieht. Hier hätte ich mir durchaus noch einige andere Gedankenkonstrukte gewünscht. Was jedoch sehr interessant war, war Yaloms Sichtweise auf die Genese Frankls Theorie und somit deren Fokussierung. Durch Yaloms Bemerkungen zu Frankls Gedankenkonstrukt hat sich dieses für mich enorm geweitet und auch etwas den Anschluss an andere, für mich interessante Konstrukte, gefunden.

Von Aufbau, der Struktur und Schreibweise ist Yaloms Werk sehr verständlich und interessant aufgebaut. Jedes der vier grossen Kapitel enthält eigene Kapitel oder Abschnitte über die Einführung in die eigentliche Thematik, die Wirkungsweise und das Erkennen der diversen Symptomatiken, sowie die Diskussion eines möglichen therapeutischen Ansatzes. Doch die Fülle an Information und die weitreichende Natur der Gedankenkonstrukte fordert den Leser in besonderer Weise. Dies ist jedoch alles andere als eine aufkeimende Kritik an einem für mich phantastischen Einblick in eine, mir sehr heimisch fühlende Sichtweise auf den Menschen der heutigen Zeit. Ein wirklich bereicherndes Buch, welches ich jedem, der sich für Psychotherapie und/oder Philosophie interessiert nur ans Herz legen kann.

 

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