Mittwoch, 18. März 2009

Und Nietzsche weinte - Irvin D. Yalom

Eigentlich sind sich Friedrich Nietzsche und Josef Breuer im wahren Leben nie begegnet und doch baut Yalom basierend auf dieser fiktiven Begegnung einen erstaunlichen Roman auf. Dieser führt uns zurück in das Wien des Fin de Siècle wo wir Zeugen der (fiktiven) Entstehung der analytischen Psychotherapie werden. Eigentlich stand dieses Buch schon lange auf meiner ‘will ich noch lesen Liste’, doch der fliessende Übergang zwischen Realität und Fiktion hat mich immer wieder davon abgehalten dieses Buch ohne die genauere Kenntnis der Biographien von Nietzsche, Breuer und Salomé zu lesen. Durch einen Zufall ist mir dieses Buch jedoch wieder in die Hände gefallen und nun, nachem ich es verschlungen habe, bin ich froh meine vorherige ‘Verpflichtung der wahren Realität gegenüber’ aufgegeben zu haben. Gekonnt vermischt Yalom reale Begebenheiten und Fakten mit fiktiven verbindenden Elementen, so dass eine Geschichte entsteht, die sich gemessen an André Gides Ausspruch ‘Dichtung ist Geschichte, die hätte stattfinden können’ genau so hätte zutragen können.

Nun aber zum eigentlichen Roman. Breuer arbeitet als renommierter Arzt und Erfinder der völlig neuartigen ‘Redekur’ in Wien, als er unerwarteten Besuch empfängt. Lou Salomé, eine ehemalige Freundin Nietzsches, bittet Breuer diese neuartige Kur bei Nietzsche, welcher an Migräne und schwerer Depression leidet anzuwenden. Ungewöhnlich ist jedoch die Tatsache, dass er Nietzsche ohne dessen Wissen behandeln soll. In den Bann von Salomés Erscheinung gezogen, willigt Breuer ein und Lou Salomé arrangiert durch geschickte und listige Manipulation ein Treffen. Doch als schnell klar wird, dass ein alt hergebrachtes Ärzte/Patient-Verhältnis nicht zum Erfolg führen wird, bedient sich Breuer einer List. Er bittet Nietzsche ihn ob seiner eigenen Leiden existentieller Natur zu heilen.

“Seine Angst war eine schmerzende Wunde – bis zu dem Tage, an dem er die Lust als Mittel der Bändigung von Angst entdeckte. Dankbar gewährte er also der Lust Einlaß in sein Bewußtsein, und die Lust, welche keine Rivalinnen duldet, verdrängte alsbald schon alle anderen Gedanken.”

Nietzsche, dessen Philosophie sich genau diesen Themen widmet, einigt ein und so erkunden und entdecken die beiden Protagonisten ihre Psyche, die zwar verschiedenen Quellen entspringen, jedoch erstaunlicherweise auf symptomatischer Ebene sehr viele Parallelen aufweisen. Durch ihre gegensätzliche Herangehensweise und beider Überzeugung den Anderen heilen zu wollen, öffnen sie längst verschlossene Türen in sich selbst und wagen erste vorsichtige Blicke in die sich neu auftuenden Räume. Doch keinem der Beiden gelingt es wirklich, diese neuen Räume auch zu betreten.

"...Sie wollen Fliegen, doch man erfliegt das Fliegen nicht. Zuerst müssen Sie gehen lernen, und der erste Schritt hierzu liegt in der Erkenntnis, daß dem, welcher sich nicht selbst gehorcht, von anderen befohlen wird. Es ist leichter, weitaus leichter, anderen zu gehorchen, als sich selbst zu befehlen."

“Er begreift, daß der Wille machtlos ist gegen das »so war es«. Bin ich imstande, ihn zu lehren, wie das »so war es« in das »so wollte ich es« umzuschaffen ist?”

Erst als Beide ihre innerliche Überlegenheit sowie ihre Überzeugung den anderen heilen zu wollen aufgeben,  kommt es zu einem für beide fruchtbaren Dialog. Aufgrund der Tatsache, dass Nietzsche stark vom Kopf her argumentiert, während Breuer aus der Position des Verfechters der Intuition spricht, haben mich diese Stellen immer wieder an die Unterhaltungen erinnert, welche sich laufend zwischen unserem Kopf und Bauch ergeben. Nur wenn beide sich auf die gleiche Ebene begeben und ihr eigenes Selbstverständnis einer gemeinsamen Demut(*) unterwerfen, werden sie sich auf einer Ebene treffen so dass ein Austausch unter Gleichberechtigten stattfinden kann.

‚Und Nietzsche weinte’ weisst sehr viele Parallelen mit ‚Die Schopenhauer-Kur’ auf. Ganz zentral im Mittelpunkt steht auch hier wieder das Verhältnis zwischen Patient und Therapeut, welches Yalom (so gesehen der Heissenberg der Psychotherapie) auf eindrückliche Weise als Wegbegleiter und nicht als Berater porträtiert. Auch die potentiell heilende Wirkung der Philosophie (sofern man sie in die Praxis umzusetzen vermag) sowie die reichlich enthaltenen Einblicke in die Welt der Psychotherapie sind weitere verbindende Elemente.

Aber der Roman besticht auch durch seine Sprache. Schon nach wenigen Seiten hat man den Eindruck im Wien des späten 19. Jahrhunderts zu sein. Und doch ist der Roman sehr leicht und flüssig zu lesen und wirkt trotz des Spagates zwischen historischer Realität und sinngebender Fiktion sehr natürlich und wenig konstruiert. Ein Buch, welches ich absolut empfehlen kann. Zum Schluss noch einige der vielen Zitate, welche mir gefallen haben.

“Locken? Ich weiß es nicht. Darauf weiß ich keine Antwort. Ich liebe die Gefahr nicht! Wenn mich etwas lockt, dann nicht die Gefahr – eher das Entkommen, und zwar nicht der Gefahr, sondern der Sicherheit. Vielleicht habe ich zu sicher gelebt! Wer weiß, Josef, ob ein sicheres Leben nicht tatsächlich gefährlich sei. Gefährlich tödlich.”

“Wir Skeptiker haben unsere eigenen Feinde, unseren eigenen Teufel, der unsere Skesis unterhöhlt und die Saat des Glaubens in die unvermutetsten Winkel streut. Also töten wir die Götter, sprechen jedoch die Lückenbüßer heilig – Lehrer, Künstler, schöne Frauen”

„Aber Friedrich, müssen wir Forscher nach Wahrheit, um die Wahrheit zu ergründen, nicht aller Illusion abschwören?“
„WAHRHEIT großgeschrieben!“ rief Nietzsche. Nur vergaß ich zu sagen, Josef, daß die Forscher nach Wahrheit eines noch lernen müssen: daß nämlich auch die WAHRHEIT eine Illusion ist – allerdings eine, ohne die wir nicht leben können.“


(*) Ich verwende den Begriff Demut hier nicht im religiösen Kontext sondern im Sinne Fromms, für den die Demut die der Vernunft und Objektivität entsprechende emotionale Haltung als Voraussetzung der Überwindung des eigenen Narzissmus bedeutet.

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