Donnerstag, 22. Mai 2008

Die respektvolle Dirne – Jean-Paul Sartre

Die Prostituierte Lizzie ist gerade auf dem Weg von New York in ein kleines Städtchen in den Südstaaten der USA, als sie im Zug Zeugin eines Mordes an einem Schwarzen wird. Wie um die Wende zum 19. Jahrhundert in den Südstaaten üblich, gelten die Schwarzen als minderwertig und Vogelfrei und so macht schnell das Gerücht die Runde, dass das schwarze Opfer Lizzie vergewaltigt haben soll. Nun liegt es an Lizzie entweder mit dem Strom zu schwimmen oder der Gerechtigkeit Tribut zu zollen.

Doch obwohl anfänglich für Lizzie die Gerechtigkeit vor allen Anderen Tugenden den Vorrang hat, wird diese im Laufe der Geschichte derart manipulativ mit ihren Ängsten und Sehnsüchten konfrontiert, dass sie kaum mehr aus freiem Willen über ihr Handeln entscheiden kann. Und dies ist in meinen Augen auch der Kernpunkt dieses Theaterstücks von Sartre. Natürlich geht es offenkundigerweise auch um Rassismus, doch gerade aus der existentialistischen Sichtweise Sartres in der der Mensch vollumfänglich für das was er selbst ist verantwortlich ist, wird aufgezeigt, wer die Gegenspieler dieser Tugend sind. Porträtiert wird eine Frau die in einem System aufgewachsen ist, welches zur Unmündigkeit erzieht und sich der Sorgen, Ängste und Sehnsüchte der Menschen bedient um sie gefügig zu machen und ins System einzureihen.

Hätte Lizzie einfach stärker sein müssen um dieser Manipulation zu widerstehen? Zugegebenermassen, Lizzie ist nicht die stabilste Persönlichkeit. Doch schauen wir tief in uns selbst, denn dort erkennen wir ebenso wie bei Lizzie unsere eigenen Ängste und Sehnsüchte und diese sind es, die unsere Fragen viel schneller beantworten als unser Verstand dazu fähig ist. Es ist ein Prinzip, das auf jeder Ebene spielt – für jeden von uns.

Dies hat mich auch an die Kurzgeschichte Drei liebe Freunde… erinnert, denn dort sind es auch Angst und Unsicherheit, die genährt von der Sehnsucht Besitz über unser Denken und Sein ergreifen und uns (zumindest auf den teils wahren Ursprung der Geschichte) auf eine Fährte locken, die der Realität keineswegs entsprechen mag. Vielleicht ist es aber auch einfach nur so, dass Angst und Unsicherheit ein Teil unserer Existenz sind, die ebenfalls anerkannt werden wollen. Je mehr wir sie in das Bild unserer Selbst einbeziehen, desto weniger suchen sie ihre Aufmerksamkeit in der Aussenwelt und umso widerstandsfähiger gegenüber deren Instrumentalisierung von aussen werden wir.

Auf dem Hintergrund dieser Gedanken hat mir das Buch wirklich gut gefallen und ich kann es auf jeden Fall weiter empfehlen.

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