Montag, 19. Februar 2024

Hotel du Lac – Anita Brookner

 

Auf dieses Buch bin ich beim Lesen von «Allein» von Daniel Schreiber gestossen. Dort beschreibt er, wie er von einem Hotel in Luzern auf eine dreiwöchige Literatur-Residenz eingeladen wurde, auf die er eigentlich keine Lust darauf hatte, dann aber schlussendlich doch das Angebot annahm – nicht zuletzt, da er kurz zuvor «Hotel du Lac» gelesen hat und davon fasziniert war.

 

Mir ist es da ganz ähnlich gegangen. Die Art wie Brookner kleine, einzelne Details einer Szene beschreibt, welche dann stellvertretend für die gesamte Szene das Gefühl der Menschen dahinter plastisch und erfahrbar wiedergibt, hat mir sehr gut gefallen. Kurz gesagt, es war eine Freude das Buch, allein vom Schreibstil her, zu lesen. Aber nun zum Inhalt.

 

Edith Johanna Hope ist in ihren Vierzigern und wohnt in London. Dort schreibt sie unter dem Pseudonym Vanessa Wilde romantische Unterhaltungsliteratur. Von ihrem Freundeskreis wird sie als introvertiert und eher unscheinbar wahrgenommen, ja sogar stellenweise etwas belächelt. Umso höher schlagen die Wellen, als sie sich einen unentschuldbaren faux pas erlaubt, worauf ihr Zwangsferien nahelegt werden, bis wieder Normalität einziehen könne. Um was es sich bei diesem faux pas handelte, erfährt man aber erst Anfang des letzten Viertels des Romans (S.150 in meiner Ausgabe) und so begleitet der Leser Edith ins Hotel du Lac, einem etwas verstaubt antiquierten Hotel am Genfer See, welches «…der Tradition verhaftet, als seine Gäste die Vorsichtigen, Wohlhabenden, Diskreten, Zurückgezogenen, die geachteten Kunden einer früheren Ära des Tourismus willkommen hiess.». Und in der Tat 

Fühlte ich mich durch die Beschreibung der Charaktere oftmals eher in einem Roman von Thomas Mann als in einem Hotel der frühen 1980er Jahre, was eine sonderbare, interessante Stimmung erzeugte. 

 

Im Hotel residieren nur wenige Gäste. Da ist die würdevolle und elegante Mme de Bonneuil, eine ältere, vom Schicksal des Lebens gezeichnete Dame, die Edith wohlwollend unterstützt und sie ermutigt eigene Entscheidungen zu treffen. Monica (mit ihrem Hündchen Kiki) ist eine, auf den ersten Blick selbstbewusste und extrovertierte Erscheinung, die ihren aristokratischen Charme jedoch wie einen schützenden Mantel um sich hüllt. Iris Pusey, in jeder Konstellation das selbstverständliche Zentrum der Aufmerksamkeit, ist mit ihrer Tochter Jennifer im Hotel du Lac. Und dann ist da noch Philip Neville. Ein Mann mittleren Alters, der sich charismatisch und selbstbewusst inmitten all der Frauen bewegt.

 

Feinfühlig und dezent entwickelt Brookner diese Charaktere durch die Augen Ediths. So nimmt diese zu Anfang nur deren zuweilen exzentrisches Verhalten wahr, welches sie – ganz Schriftstellerin – dazu anhält Lebensgeschichten für jeden auszudenken. Peu-à-peu ergeben sich aber immer tiefere Einblicke, die erahnen lassen, welchen Zweck das jeweilige Verhalten im Leben der Person einnimmt und welche Dynamik dadurch zwischen ihnen entsteht. Und während man die Hotelgäste immer etwas besser kennen lernt, so nähert man sich auch Edith und ihrem Wesen. Durch ihre Rückblicke und Briefe lernt man sie immer besser kennen, meint zu erahnen, welchen faux pas sie begangen hat. Eigentlich kennt man sie schon relativ gut, wenn man auf Seite 150 angelangt ist. Ab da ändert sich die Dynamik der Erzählung. Sie wird schneller, irgendwie prägnanter und man ist erstaunt, welche Schlussfolgerungen Edith aus ihren Erfahrungen zieht.


Viel mehr möchte ich eigentlich gar nicht erzählen, denn für mich war es ein Genuss sich in ganz kleinen Schritten den Charakteren zu nähern, sie immer etwas besser zu verstehen – In ihren Handlungen, in ihren Eigenheiten, in ihren Zwängen – in ihrem Leben. Und so rate ich auch dazu das Vorwort von Elke Heidenreich zu einem Nachwort zu machen. Ich bin jedenfalls froh um meine Ungeduld, welche mich gleich in den Roman hat springen lassen – Für mein Empfinden braucht dieser Roman kein Vorwort – Er steht wunderbar für sich alleine. alleine. alleine…

Freitag, 16. Februar 2024

Unsere Seelen bei Nacht – Kent Haruf

 

Auf dieses Buch bin ich ganz durch Zufall gestossen als ich in der Buchhandlung wieder mal nach neuen Inspirationen gesucht habe. Zuvor hatte ich noch nie etwas von Kent Haruf gelesen oder von ihm gehört aber der Umschlagtext hat mich einfach angesprochen. Und nun bin ich richtig froh, dass ich es mitgenommen habe, denn es war einfach ein Genuss das Buch zu lesen. Normalerweise mache ich beim Lesen immer wieder Pausen, denke über das Gelesene nach, streiche mir Passagen an und schreibe mir Gedanken zu diesen Passagen ins Buch. Bei diesem Buch war ich aber einfach im Lesefluss und wollte in jenem Fluss bleiben. 

 

Haruf schreibt in schnörkellosen geraden Sätzen, völlig unaufdringlich und doch so differenziert beschreibend. Seine Charaktere sind so gut greifbar. Einfach schön zu lesen. Ich habe mir bereits weitere Bücher von Haruf bestellt und freue mich schon drauf sie zu lesen. Aber nun zum Inhalt.

 

Addie Moore und Louis Waters sind Nachbarn in der kleinen amerikanischen Stadt Holt in Colorado. Beide sind vermutlich in ihren Sechzigern und haben ihre jeweiligen Partner bereits verloren. Viel über die normalen Nachbarschaftlichen Begegnungen hinaus scheinen sie in den letzten Jahren nicht miteinander zu tun gehabt zu haben. Umso erstaunlicher ist es, dass Addie Louis relativ unvermittelt vorschlägt bei ihr im Bett zu übernachten. Nichts Romantisches – Einfach zu zweit gegen die Einsamkeit. Louis willigt ein und so begibt er sich die folgenden Nächte, zuerst durch den Hintereingang, dann aber mit immer grösserer selbstverständlichkeit durch den Vordereingang zu Addie. Dies bleibt im kleinen Holt zwar nicht lange geheim aber nach anfänglichem Zögern scheinen Addie und Louis sogar Freude daran zu finden als unkonventionell angesehen zu werden, auch wenn sie im kleinbürgerlichen Holt damit nicht überall auf Verständnis stossen. Haruf beschreibt diese Nächte so zart, selbstverständlich und fern ab von jeder (sexuellen oder romantischen) Aufregung. Zwei Menschen, die auf viele Erfahrungen in ihrem Leben zurückblicken und denen dadurch umso klarer ist, was ihnen in ihrem Leben wichtig ist, wie sie es leben wollen. Mit oder ohne Billigung der Gesellschaft.

 

Als Addies Sohn Gene und seine Frau sich trennen, kommt Addies Enkel Jamie über die Ferien zu Addie nach Holt. Wie auch Gene von den Ereignissen seiner Vergangenheit geprägt wurde, leidet auch Jamie unter den Konflikten zwischen Gene und seiner Frau. So dauert es, bis Jamie sich öffnet. Er findet jedoch mit Addie und Louis den Halt, die Sensibilität, die Stabilität und die Liebe, die ihm so gut tut. Doch dann machen Gene und seine Frau einen neuen Anlauf ihre Beziehung zu kitten und holen Jamie wieder zu sich. Als Gene ihn abholt ist dies der Anfang vom Ende des Lebens, wie Addie und Louis es sich aufgebaut haben. Beide erleiden einen (unterschiedlichen) Verlust, an dem man auch zerbrechen könnte und während der Leser noch dem Verlust nachtrauert haben Addie und Louis sich bereits in der neuen Situation zurechtgefunden. Sie leiden zwar auch auf ihre Art, aber ohne jede Dramatik und ohne jegliches existentialistische Moment. Das Leben scheint ihnen viel zu kostbar als es damit zu verschwenden, um es selbst zu trauern.

 

Dies hat mich während den letzten Zeilen an ein Zitat aus «Il Gattopardo» von Giuseppe Tomasi di Lampedusa erinnert:

 

«Wenn wir wollen, daß alles so bleibt, wie es ist, muss alles sich ändern

 

Kein einfaches Unterfangen, neigen wir doch dazu das Gute konservieren und erhalten zu wollen, auf dass es uns möglichst auf alle Zeit hinaus Sicherheit und Geborgenheit garantieren soll.