Freitag, 4. Januar 2008

Abbitte - Ian McEwan

Vor einer Viertelstunde habe ich die letzte Seite des Buches umgeblättert und mich ins Sofa zurücksinken lassen. Ich habe meine Tränen aus den Augen gewischt und gedankenverloren an die Decke gestarrt. Es ist ein schwer greifbares Gefühl, welches sich in mir breit machte. Wie Wasser rann es durch die Finger sobald ich es greifen wollte und doch gehe ich völlig in ihm auf.

Jetzt, fast zwanzig Minuten später macht sich meine Umwelt wieder bemerkbar. Der Lüfter des Computers surrt eintönig vor sich hin, hier und da gibt Skype einen Laut von sich um mich wissen zu lassen, dass sich eben jemand eingeloggt hat und immer noch bin ich dem Gefühl, welches ich am Ende des Buches hatte noch nicht habhaft geworden. Langsam zieht es sich, wie das Wasser des Ozeans bei Ebbe zurück und gibt die Realität frei, der ich die letzten Stunden entflohen war. Lediglich Mendelssohns Andante con moto im Hintergrund hält mich noch etwas zurück und lässt es mich wenigstens noch etwas geniessen was ich schon nicht beschreiben kann.

Abbitte ist eines der besten Bücher welche ich von Ian McEwan gelesen habe, ob wohl ich stellenweise gar nicht dieser Meinung war. Die ersten hundert Seiten des Romans sind relativ langatmig und beschreiben in epischen Details einen erdrückend heissen Sommertag des Jahres 1935 im Leben der Familie Tallis auf ihrem Landsitz im Süden Englands. Obwohl McEwan aus den verschiedenen Perspektiven der Beteiligten erzählt - was Anfangsweise etwas gewöhnungsbedürftig ist, dann aber für ungeheure Dynamik sorgt, da sich diese Erzählungen zum Teil überlappen und somit völlig unterschiedliche Sichtweisen auf die gleichen Ereignisse freigeben - ist es in diesem ersten Teil hauptsächlich Britony, die dreizehnjährige Tochter der Tallis, die uns Einblick in die verschiedenen Charaktere gibt. Es ist auch Britony, ein kindlich einfältiges Mädchen mit einem starken Drang nach Anerkennung als Schriftstellerin (oder nach der Liebe ihrer Eltern), welche Zeugin eines eigenartigen Geschehens wird, welches sie daraufhin die Arena der Erwachsenen betreten lassen sollte. Eine Arena, deren Realität, Gefühle, Leidenschaft und Sprache sie lediglich aus ihrer kindlichen Natur betrachten kann und somit eine Katastrophe heraufbeschwört, die sie und ihre Familie über die kommenden sechs Dekaden überschatten sollte.

Abbitte ist ein Buch, welches uns von den friedlichen und malerischen Vorkriegstagen mitten hinein in die Wirren und Grausamkeiten des Krieges, über die Nachkriegsjahre, bis hin in unsere heutige Zeit führt und all diese Zeiten durch einen roten Faden verbindet, der erst ganz am Ende des Buches wirklich sichtbar wird. Stellenwiese erscheinen einem die über 500 Seiten des Buches sehr langatmig doch wenn ich dem roten Faden entlang, rückblickend, den Roman betrachte, so war jede dieser Seiten notwendig um die Stimmung zu erzeugen, die letztendlich dieses Gefühl in mir auslöste, welches mich auf den letzten Seiten des Romans umgab.

In diesem Zusammenhang ist mir auch ein Zitat von Kundera eingefallen,

„Glauben Sie, die Vergangenheit sei, nur weil sie schon geschehen ist, fertig und unabänderlich? Ach nein, ihr Kleid ist aus schillerndem Taft geschneidert, und jedes Mal, wenn wir uns nach ihr umdrehen, sehen wir sie in einer anderen Farbe.“

denn die Verschachtelung und Abstraktion auf die schriftstellerische Ebene, welche uns ganz am Ende des Romans einholt, lässt den Roman rückblickend in ganz anderem Licht erscheinen. Auch wenn stellenweise nicht ganz einfach, so ist Abbitte doch ein wirklich gutes Buch, das man unbedingt lesen sollte.

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