Samstag, 8. Dezember 2007

Gertrud – Hermann Hesse

Auf 181 Seiten folgt man dem jungen Kuhn durch sein Leben, sieht die Welt mit seinen Augen und merkt dabei sehr oft, dass seine Augen zu Unseren auch nicht sehr unterschiedlich sind.

Die Erzählung beginnt in den Jahren Kuhns Kindheit in der er als ungeliebter und wenig begabter Schüler unberührt und unauffällig durch die Schule ging. Zwar sehnte er sich danach sich auszudrücken doch erst im siebten Lebensjahr entdeckte er die Musik für sich, die ihn anhin für sich einnahm und sich dort erst langsam entfaltete.

In den ersten beiden Kapiteln lernt man viel über Kuhns Kindheit und Jugend kennen. Man erlebt die erste Liebe hautnah mit, die zerrissenen Gefühle zwischen totaler Euphorie und bodenloser Niedergeschlagenheit. Doch je mehr man liest, so deutlicher wird, dass Kuhn ein sehr sensibler und feiner Mensch ist. So dauert es auch nicht lange, bis die Fragen des Lebens, des Sinns und des Glücks am Horizont der Jugend erscheinen und ihn über die nächsten Kapitel hinweg ins Leben eines Erwachsenen begleiten.

"...und ich fühlte in den dunklen Stunden mein krankes Herz mit doppelter Glut sich dehnen und empören, und ich unterschied nicht mehr Genuß und Weh, sondern eines war dem andern gleich, und beides tat weh, und beides war köstlich. Und während es mir innen wohl und weh erging, stand meine Kraft doch in Ruhe darüber, schaute zu und erkannte, das Helle und Dunkle als geschwisterlich zusammengehörend, das Leid und den Frieden als Takte und Kräfte und Teile derselben großen Musik."

Im dritten Kapitel lernt Kuhn den extrovertierten und emotional nicht sehr stabilen Sänger Heinrich Muoth kennen, mit welchem ihn nach anfänglicher Skepsis und Vorsicht eine tiefe Freundschaft verbinden soll.

"...und spürte zum erstenmal in meiner leichten Jugend so deutlich, daß man durchs Leben und durch die Menschen nicht so einfach gehen könne, da mit Haß und da mit Liebe, da mit Verehrung und dort mit Verachtung, sondern, daß alles durcheinander und beieinander wohne, kaum getrennt und in Augenblicken kaum unterscheidbar."

Selbst die Tatsache, dass Muoth diejenige Frau heiratet, die Kuhn über alles liebt, vermag die Freundschaft der Beiden lediglich temporär zu entfremden und immer mehr und mehr wachsen die Gefühle der verschiedenen involvierten Personen füreinander, denn es ist um diese Zeit, dass Kuhn entdeckt, dass sein Egoismus ihn bis dato davon abgehalten hat den tieferen Sinn seines Lebens zu erfühlen.

"Ich glaube man kann im Leben eine ganz genaue Grenze ziehen zwischen Jugend und Alter. Die Jugend hört auf mit dem Egoismus, das Alter beginnt mit dem Leben für Andere. Ich meine es so: junge Leute haben viel Genuß und viel Leiden von ihrem Leben, eil sie es nur für sich allein leben. Da ist jeder Wunsch und Einfall wichtig, da wird jede Freude ausgekostet, aber auch jedes Leid, und mancher, der seine Wünsche nicht erfüllbar sieht, wirft gleich das ganze Leben weg. Das ist jugendlich. Für die meisten Menschen aber kommt eine Zeit, wo das anders wird, wo sie mehr für andere leben, keineswegs aus Tugend, sondern ganz natürlich. Bei den meisten birgt es die Familie. Man denkt weniger an sich selber und seine Wünsche, wenn man Kinder hat. Andere verlieren den Egoismus an ein Amt, an die Politik, an die Kunst oder Wissenschaft."

Dieser Satz, obwohl er bereits 1910 geschrieben wurde, passt meiner Meinung nach unglaublich gut in unsere Zeit. Eine Zeit, in der die Selbstverwirklichung eine goldene Kuh geworden zu sein scheint. Doch wenn man sich überlegt, dass Hesse dies bereits 1910 geschrieben hat fragt man sich, ob diese goldene Kuh wirklich nur eine Erfindung der Neuzeit ist oder ob sie lediglich dem Menschsein innewohnt. Wohlgemerkt rät Hesse hier nicht dazu so schnell wie möglich erwachsen zu werden, sondern dann, wenn es Zeit dafür ist; denn ein paar Zeilen weiter schreibt er:

"Auch werden aus den eifrigsten Jungen die besten Alten und nicht aus denen, die schon auf Schulen wie Großväter tun."

Das Buch ist gespickt mit solchen Überlegungen, die einen sehr dazu anregen über sein eigenes Leben nachzudenken. Doch all diese Dinge sind auch in eine wunderschöne Geschichte verpackt. Eine Geschichte einer Liebe, die trotz ihrer Unmöglichkeit nicht einfach versandet oder sich auflöst. Vielmehr findet dieser Strom zwischen Kuhn und Gertrud seinen eigenen Lauf und gräbt sich fern ab von allen Konventionen und Lebensformen sein eigenes Bachbett.

Die Sprache ist, wie von Hesse gewohnt, blumig und weich. Die Charaktere sind wunderbar beschrieben und in ihrer Ausgeprägtheit auch sehr authentisch. Obwohl man dabei immer wieder vermuten mag, dass Hesse genau diese beiden Charaktere selbst verkörperte. Letztendlich ist dies ja eines der immer wiederkehrenden Themen in seinen Büchern und im Gegensatz zu 'Demian' oder 'Klein und Wagner' hat Hesse diese verschiedenen Welten nun in zwei eigenständigen Charakteren wachsen lassen, die nicht nur zufällig eine innige Freundschaft verbindet, obwohl sie sich auch immer wieder als gegenteilige Pole begegnen.

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