Mittwoch, 24. September 2008

Ein Kind zur Zeit – Ian McEwan

Stephen gehört zu de Gruppe von Menschen, die in den gehobeneren Gegenden der Stadt ihre Häuser haben und im Supermarkt stets an der Sondertheke einkaufen. Bei einem solchen Supermarktbesuch stehen Steven und seine dreijährige Tochter Kate an der Kasse. Stephen wendet sich für einen Moment der Kassiererin zu um eine Tragetasche in Empfang zu nehmen und ahnt noch nicht, dass er Kate gerade eben zum letzten Mal gesehen haben wird.

 

Die Kindesentführung, welche schon auf den ersten Seiten des Romans stattfindet ist an Spannung kaum zu überbieten. Schnell wird man von diesem Buch in den Bann gezogen und brennt darauf mehr zu erfahren. Zwar verliert die Handlung auf den folgenden Seiten einiges an Spannung, doch wird sie zunehmend von den tiefen Einblicken in das Leben und die Psyche von Stephen und seiner Frau Julie ersetzt.

 

„Plötzlich hatte jeder sein eigenes Leid, isoliert und nicht mehr mittelbar. Sie gingen getrennte Wege, er mit seinen Listen und der täglichen Lauferei, sie in ihrem Sessel, tief versunken in ihre private Trauer. [...] Die alte Vertrautheit, die selbstverständliche Annahme beider, dab sie auf derselben Seite stünden, war tot. [...] Der Verlust hatte sie in die Extreme ihrer Persönlichkeiten getrieben.“

 

Und genau dies ist auch das Genre McEwans. Er stösst alltägliche Menschen in Ausnahmesituationen und destilliert über die Dauer des Romans die Essenz des Menschlichen heraus. Oft genug sind dies erschreckende, manchmal sogar verstörende Einblicke. Doch nach all den Büchern, die ich bisher von ihm gelesen habe (Der Trost von Fremden, Der Tagträumer, Der Zementgarten, Erste Liebe, Letzte Riten, Abbitte, Saturday) denke ich nicht, dass es ein fatalistisches Weltbild ist, das dieser Destillation zugrunde liegt. Vielmehr ist es die fast schon wissenschaftliche Neugier, eine menschliche Landschaft zu malen, in der manch kleiner aufragender Hügel erst durch die ihn umgebenden Schluchten seine wahre Bedeutung bekommt. 

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