Donnerstag, 18. Januar 2007

Der Kutscher

Es ward bereits späte Nacht als die Kutsche über die mittlerweile vom Frost gehärteten Feldwege ratterte. Nach Planung des Kutschers hätten sie das sichere Schloss bereits vor Einbruch der Dunkelheit erreichen sollen. Doch der andauernde Regen am Morgen desselben Tages machte jegliche Einhaltung eines Zeitplanes unmöglich. Immer wieder versackten die Räder der Kutsche bis zu den Speichen im Morast, so dass an ein schnelles Vorankommen nicht zu denken war.

Die Sonne war bereits vor mehreren Stunden hinter dem Horizont verschwunden und der eisige Wind verlieh der Nacht eine Grimmigkeit wie er sie schon lange nicht mehr erlebt hatte. Den Steifen Kragen seines dicken Kutschermantels hoch aufgestellt und den Zylinder tief über die Stirn gezogen trotzte er auf dem Kutscherbock den widrigen Bedingungen. Seine Aufmerksamkeit galt ganz dem Wege und dessen Unebenheiten, die er so gut es ging zu umfahren versuchte. Er tat alles in seiner Macht stehende um seinem Passagier eine möglichst angenehme Fahrt angedeihen zu lassen.

Doch während der letzten Minuten gelang es ihm immer seltener die Unebenheiten des Weges zu umfahren. Er verlor zunehmend die Konzentration auf den Weg und seine Augen schweiften immer öfters ab in das dichte Gebüsch, welches den Weg durch den berüchtigten Wald säumte. Mit der Peitsche sowie den Zügeln in der Linken und seiner geladenen Büchse in der Rechten, wachte über jede Bewegung und jedes Geräusch am Wegesrand.

Die abgerissenen Nebelschwaden welche wie von Geisterhand vor ihm hertrieben, sich aus unerfindlichen Gründen verdichteten um sich von einem zum anderen Moment wieder ins Nichts aufzulösen untermauerten die beunruhigenden Geschichten, die er bereits früher über diesen Wald zu Gehör bekommen hatte. Doch je dichter der Nebel und je lauter die Geräusche des Waldes wurden, umso mehr wuchs in ihm der Mut und die Kraft seinen Passagier mit allem was ihm zur Verfügung stand zu schützen und unversehrt im lang ersehnten Schloss vorfahren zu können.

Er dirigierte die Pferde durch die enge Rechtskurve vor ihm als diese plötzlich wiehernd aufstiegen und die Kutsche jäh zum Stillstand brachten. Ein massiver Baumstamm lag quer über dem Feldweg doch was unter normalen Umständen die Angst in ihm hätte aufsteigen lassen, entfesselte lediglich seine Entschlossenheit seinen Passagier zu schützen. Die mittlerweile zur Ruhe gekommenen Pferde schnaubten und erzeugten durch ihre Wärme dünne Nebelschwaden, welche sie im fahlen Mondlicht in ein gespenstisch anmutendes Gewand kleideten.

Entschlossen hielt er seine Büchse bereit zum Abzug in seiner Rechten und stieg von seiner Kutsche. Langsam und vorsichtig tastete er sich im Mondlicht an den Pferden vorbei bis vor den Baumstamm, der nun zwischen ihm und seiner Bestimmung lag. Es vergingen lange Minuten in denen er gefasst auf einen Angriff in der Nähe der Pferde verharrte und bereit war seinen Passagier bis aufs Blut zu verteidigen. Als jedoch nach weiteren langen Minuten nur die Geräusche des Waldes zu hören waren fasste er sich ein Herz und avancierte bis zum Baumstamm, den er mittels eines Seiles an der Deichsel der Kutsche befestigte, so dass die Pferde diesen, soweit es nötig war, zur Seite ziehen konnten. Er löste das Seil von der Deichsel, sprang auf den Kutscherbock und liess seine Peitsche knallen. Die Pferde spannten an und die Kutsche raste in Windeseile den Weg entlang, der nun endlich aus dem Wald führte.

Nach wenigen Minuten rasanter Fahrt tauchte die Silhouette des Schlosses wie durch einen Schleier betrachtet im Mondlicht auf. Ihre Ankunft war nicht unbemerkt geblieben, denn die Zugbrücke senkte sich und lud den Kutscher ein, seinen Passagier wohlbehalten in die sicheren Arme der Burg zu geleiten. Die metallbeschlagenen Räder ratterten über die Holzbolen der Zugbrücke und als er das Rasseln der Ketten, mit der die Brücke wieder hinter ihm angehoben wurde vernahm, fühlte er in gleichem Masse wie sich die Angst entlud den Stolz in sich aufsteigen. Er dirigierte die Kutsche vor das Portal, stieg ab und öffnete die Seitentür der Kutsche.

"Er mag mir seine Hand reichen" forderte ihn die Landtherrin auf um ihr beim Aussteigen zu helfen. Stolz reichte der Kutscher ihr seine Hand und spürte wie sie ihre zarte Hand in die Seine legte und fühlte sich durch das Vertrauen belohnt, welches sie ebenfalls in seine Hände gelegt hatte. Er begleitete sie an die Pforte, wo sie sich ihm mit einem Lächeln zuwendete und ihm anbot die angebrochene Nacht als Gast im Schloss zu verbringen.

Er war froh, dass die Landtherrin ihm dieses Angebot machte, denn ohne seine Aufgabe sie zu beschützen, hätte er sich nicht mehr alleine zurück durch den dunklen Wald gewagt.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Nach der anstrengenden Fahrt durch die Nacht würde die Landtherrin bestimmt auch dem Kutscher-Bär enhunger Abhilfe verschaffen mit einem warmen Mahl und einem Blaubeeren Dessert. Schliesslich ist es ja ein besonderer Tag…

Baghira hat gesagt…

Nein, mich brauchte niemand zu überreden, nicht mehr von der Purpurlimonade zu trinken. Ich wusste, dass mir die Blaubeeren im Wald und ab und zu ein kleiner Besuch von einem Reh oder einer Nachtigall genügten.
(Zitat aus: "Das Kartengeheimnis" von Jostein Gaarder)