Sonntag, 14. Januar 2024

Becks letzter Sommer - Benedict Wells

 

Heute Nachmittag habe ich den Roman fertiggelesen und jetzt, gut nach Mitternacht sitze ich hier und schreibe die ersten Zeilen und der Roman wirkt immer noch in mir nach. Speziell die zweite Hälfte des Romans hat mich in seinen Bann gezogen. Aber vom Anfang an: 

 

Robert Beck ist mit Jahrgang ’62 im Roman 37 Jahre alt. Er ist Lehrer für Deutsch und Musik und wurde eigentlich nur Lehrer, weil sein Vater die Musikkarriere seines Sohnes als nicht solide genug erachtete. Dabei hat die Band von Beck es in den 80ern immerhin bis zur Vorband von New Order (Blue Monday weckt auch ganz viele Erinnerungen an meine Jugend – So gesehen hätte ich auch Schüler von Beck sein können) gebracht, bevor Beck sich mit dem Manager der Band anlegte. Nun ist er Lehrer und hat seine Träume gegen Sicherheit und Stagnation getauscht.

 

«Mir fiel immer auf, wie traurig diese Lehrer waren, wenn sie ehemalige Schüler trafen. Die waren frei, flügge, konnten die Welt bereisen und sich entfalten, während man als Lehrer zur Stagnation gezwungen und an seine Schule gekettet war wie ein Gefangener an seine Eisenkugel.» 

 

Im Herzen ist Beck aber immer Musiker geblieben und das bricht in ihm wieder durch als er den jungen Rauli Kantas, einen Lettischen Schüler in seiner Klasse, auf der Gitarre hört. Fortan ist er getrieben von der Idee Rauli ganz gross rauszubringen. Er würde die Songs für ihn schreiben und Rauli würde ein Star werden. Etwas, was dieser sich durchaus wünscht, denn auch in seinem Leben gibt es Dinge, denen er gerne entfliehen würde. Eine gute Chance die Gewohnheit der Sicherheit nicht aufgeben zu müssen und sich zugleich die verschütteten Träume von früher zu verwirklichen?

 

«Auch er [Beck] war selbst über seinen Wutausbruch überrascht. Doch er spürte, dass diese Releaseparty das Wichtigste in seinem Leben war, und das liess er sich von niemandem kaputt machen. Und Rauli liess er sich auch nicht kaputt machen.»  

 

Zu dieser Zeit lernt Beck auch Lara kennen. Lara ist jünger als er, hat sich gerade zuvor von ihrem Freund getrennt, mit dem sie eigentlich nur zusammen war, weil sie nicht allein sein kann – Und so ungleich die Beiden sind, so sehr scheinen sie sich auch zu ergänzen. Stellenweise hat mich Lara in ihrer Wirkung auf Beck sogar an Hermine aus dem Steppenwolf erinnert. Eine Parallele, welche mir später gegen Ende des Buches noch mal auffallen sollte.

 

«Aber ich liebe Dich! Sagte er, fast verwundert. Er begriff, dass er diesen Satz zum ersten Mal in seinem Leben ernst meinte. Lara strich ihm, bevor sie ging, noch einmal wie einem kleinen Jungen übers Gesicht, dann drehte sie ihm den Rücken zu. Ich weiss, sagte sie. Nur manchmal reicht das einfach nicht.»

 

Und dann gibt es da noch Charlie. Ein alter Freund von Beck, deren Beziehung sich erst über längere Strecken im Buch aufklärt. Sie erscheinen total unterschiedlich und dennoch hält sie ein starkes Band zusammen. So ist es dann auch Charlie, der Beck überzeugt ihn nach Istanbul zu fahren. Letztendlich brechen Beck, Rauli und Charlie zusammen auf eine Reise auf, welche fast im Stile eines Road Movie viele Erkenntnisse für die Protagonisten bereit stellt und ihrer aller Leben grundlegend verändern wird.

 

Der Roman selber ist wie einen Musikalbum gegliedert. Es gibt eine A-Seite, eine B-Seite und einen Bonus Track. In der A-Seite entwickelt sich in 4 Tracks die Geschichte um Beck, Rauli, Charlie und Lara. Nach ca. 250 Seiten fängt dann mit der Reise nach Istanbul auch die B-Seite an. Ab da konnte ich das Buch kaum mehr weglegen und strich mir immer mehr Stellen an. Entweder weil sie mich an etwas erinnerten oder mich einfach nur bewegten.

 

Auf der Reise nimmt Beck dann auch eine Black-Jua Pille, ein Halluzinogen, von seinem Freund Charlie (Jua bedeutet Sonne auf Suaheli). Was er daraufhin erlebt, hat mich dann stark an das magische Theater im Steppenwolf erinnert, denn auch dort waren es ja Drogen, welche Harry Haller in den Spiegel seiner Persönlichkeit haben blicken lassen. Hier lernt Beck den Fremden Robert Zimmermann kennen, mit dem er sich über sein Leben unterhält… oder war es doch Bob Dylan… oder gar nur ein Traum? Wie auch immer, hier zwei Zitate aus diesem Kapitel: 

 

«Ich fühle mich manchmal so leer, sagte Beck. Mir fehlt immer etwas. Wenn ich allein bin, fehlt mir was, wenn ich mit jemandem zusammen bin, fehlt mich auch was […] Ach. Unsinn. Jeder Mensch hat doch diese Leere in sich. Sie gehört doch zum Leben dazu. Vielleicht ist es manchmal nur laut genug, dass man sie vergisst, man ist verliebt oder im Stress, aber wenn es ruhig um einen wird, dann spürt man sie wieder.»

 

Dies hat mich übrigens an meine Gedanken zur Melancholie erinnert.

 

«Als Beck fertig war, sah ihn Zimmermann mit einem eigenartigen Gesichtsausdruck an. Robert, Robert, sie sind ja der glücklichste Mann der Welt. 

Ach, wieso? 

Weil sie lieben und geliebt werden.

Ich weiss nicht, ob das ausreicht, um der glücklichste Mann der Welt zu sein.

Ich habe ja auch nicht gesagt, dass sie der klügste Mann der Welt sind. Ihnen ist das Glück nämlich durchaus nicht klar […] Je näher man seinem Glück ist, desto schwieriger ist es zu kriegen oder auch nur zu begreifen.»

 

Und hier ist man natürlich schnell an das Dylan Zitat aus Vom Ende der Einsamkeit erinnert.

 

Im Auseinandergehen schliesst Robert Zimmermann noch mit dem Satz «Also: Denken Sie immer daran: Es geht nur um Erinnerungen.». Ein Thema, welches später wieder aufgegriffen werden wird. Ein Thema, welches ich vermutlich am ehesten Ergänzen würde mit: «…nicht um sie zu haben, sondern um sie gemacht zu haben…». Und damit bewegt man sich dann relativ nahe an Frankls Erlebens- und Einstellungswerten (hier mehr dazu).

 

Und dann ist da noch diese eine Stelle im letzten Kapitel, dem Bonus-Track, in welcher sich dann bei mir selbst Fiktion und Realität vermischen:

 

«Denn vor allem kann man ihm [dem Leben] fast nie lange böse sein. Manchmal, wenn die Dinge schlecht laufen – ich bin niedergeschlagen oder hoffnungslos -, gehe ich spazieren. Und dann, einfach so, scheint die Sonne durch die Bäume, wie damals, als ich ein kleines Kind war und mit meinen Eltern durch den Englischen Garten gegangen bin, ein Eis bekommen habe und mich so sicher wie danach nie mehr gefühlt habe. Ich erinnere mich also an damals, die Sonne scheint, es ist windig und wunderschön. Dann habe ich auf einmal wieder dieses längst vergessene Gefühl, es schaffen zu können. Mit diesem billigen Trick kriegt das Leben mich wieder rum.»


Und just in dem Moment, als ich diese Seite fertiggelesen habe, kommt unsere jüngere Tochter (8) in den Wintergarten zu mir und kuschelt sich an mich unter die warme Decke. Ich lege das Buch weg und wir unterhalten uns. Sie spricht über Liebe und Religion – Erstaunlich, was da alles in ihr schlummert. So viel Erkenntnis, verpackt in kindlichen Bildern der Welt – Wow! Und ich habe sie einfach nur im Arm, bin sehr gerührt und versuche ihr eben all diese Sonne und Wärme zu geben, die sie durch ihr ganzes Leben tragen mag. Fünf Minuten später ist unser philosophischer Exkurs ( ;-) ) beendet. Sie springt auf und rennt zurück in die Wohnung – Da gibt es jetzt noch ein Bild, welches fertig gemalt werden will.

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