Als ich am Freitag in der Buchhandlung war, um nach neuen Büchern zu schauen, ist mir dieses Buch in die Hände gefallen und da ich bisher noch nichts von Fosse gelesen habe, habe ich es mal mitgenommen. Heute habe ich es bei strahlendem Sonnenschein im warmen Wintergarten dann gelesen. Und ich bin mir immer noch nicht schlüssig, wie ich es eigentlich finde.
Zu Anfang habe ich mich erst einmal an die Art des Schreibens gewöhnen müssen. Der Satzbau, die Kommasetzung und wie Wiederholungen einzelner Textfragmente, so wie sie sich vielleicht in den Gedanken der Protagonisten wiederholen hat das Lesen, speziell des ersten Kapitels, etwas mühsam gemacht.
Im Buch von Fosse geht es um den Morgen und den Abend des Lebens. Und so beginnt es mit den Gedanken des Vaters, welchen der Leser folgt, während dieser die Geburt seines Sohnes Johannes in der Küche erwartet.
«Du bist Fischer, Du weisst, Frauen gehören nicht ins
Boot, nicht wahr?, sagt sie
Jau, sagt Olai
Und hier gilt dasselbe für Männer, du weisst, was
sonst passiert?, sagt die Hebamme Anna
Es bringt Unglück, sagt Olai
Genau, Unglück, sagt die alte Anna»
Im zweiten Kapitel ist der Sohn, Johannes, dann selbst alt und der Leser merkt schnell, dass er sich im Prozess des Sterbens befindet und all die Gedanken, Gefühle, die Routine, welche sich jahrelang eingeprägt hat, vermutlich im Geiste des Versterbenden an ihm vorbeiziehen. Und eigentlich ist dies auch kein Spoiler, denn der Text lebt nicht davon, dass etwas zuerst nur leicht angedeutet und danach immer klarer wird – Also nicht von einer sich entwickelnden Spannung. Er ist vielmehr getragen von der Begleitung des Prozesses des Sterbenden, der zu Anfang noch ganz in seiner Routine des Lebens verhaftet ist und Schritt für Schritt Erfahrungen macht, welche ihn aus dieser heraustragen – Dinge, die in der Realität nicht möglich sind, die aber von Johannes dann doch wie normal angenommen werden, denn peu-à-peu schiebt sich die Erinnerung der Vergangenheit in den Vordergrund und fängt an diesen auszufüllen.
«..denn heute ist alles anders als jemals zuvor, es muss etwas passiert sein, aber was kann es sein?, denkt Johannes und er versteht es einfach nicht, denn alles ist so wie immer, anders ist nur, dass er nicht mit seinem eigenen Boot rausfährt, sondern Peter getroffen hat und jetzt mit Peter rausfährt [Anm.: der Leser hat bereits viele Seiten zuvor erfahren, dass Peter ebenfalls vor geraumer Zeit gestorben ist], seine Krebsreusen einholen, und das hat es früher wohl auch schon gegeben, …»
Hier zeigt sich dann auch im Übrigen nochmals, der oben erwähnte eigenwillige Schreibstil. So verzichtet Fosse gänzlich auf Punkte im Text und erschafft damit eine Erzählung, welche zunehmend um jede weltliche Klarheit beraubt, meditativ dahinfliesst.
«..und Erna [Anm.: seine verstorbene Frau] und Johannes gehen die Strasse entlang und Johannes sieht das Aussenlicht und es leuchtet so heimelig über der Haustür und alles fühlt sich so gut und geborgen an wie früher so oft, jetzt ist alles, wie es sein soll, denkt Johannes, so soll es sein, so soll es sein bis in alle Zeit, denkt Johannes…»
So fliesst der Text voran, und ich habe mich ein paarmal dabei ertappt, dass ich an «Becks letzter Sommer» gedachte habe, welches ich gestern zu Ende gelesen habe und welches wohl immer noch in mir nachwirkt. Dort sagt der Fremde dem Protagonisten im Drogenrausch: «Also: Denken Sie immer daran: Es geht nur um Erinnerungen.». Und diese Erinnerungen, welche Johannes über sein Leben hinweg gesammelt hat fliessen nun peu-à-peu aus seiner Vergangenheit in genau diesen Moment des Gewahrwerdens ein – Der Moment, in welchem er stirbt.
Nur gegen Ende, im dritten Kapitel spürt man nochmals ein Aufbäumen als er Signe, seine jüngste Tochter, die bereits vermutet, dass er gestorben sein könnte, dabei beobachtet, wie sie voller Angst zu seinem Haus läuft und er schon nicht mehr mit ihr interagieren kann. Dort spürt man, dass er noch eine Verbindung ins Leben hat und auch diese noch ziehen lassen muss. Und so sagt Peter, der ebenfalls bereits gestorben ist und ihm beim Übertritt helfen und ihn begleiten soll:
«…Aber warum haben wir die Krebsreusen eingeholt?, fragt Johannes
Du hast Dir ja das Leben abgewöhnen müssen, irgendetwas haben wir schon tun müssen, sagt Peter…»
Kurz darauf:
«…Wohin fahren wir?, fragt Johannes
Nein du fragst, als ob du noch leben würdest, sagt Peter
Nirgendwohin?, sagt Johannes
Nein da, wo wir hinfahren, ist kein Ort und darum hat es auch keinen Namen, sagt Peter
Ist es gefährlich?, fragt Johannes
Gefährlich nicht, sagt Peter
Gefährlich ist ein Wort und da, wo wir hinfahren, gibt es keine Wörter, sagt Peter
Tut es weh?, fragt Johannes
Da, wo wir hinfahren, gibt es keine Körper, also kann auch nichts wehtun, sagt Peter
Aber die Seele, tut es in der Seele weh?, fragt Johannes
Es gibt kein Du und Ich, da, wo wir hinfahren, sagt Peter
Ist es gut, dort zu sein?, fragt Johannes
Es ist weder gut noch schlecht, aber gross und still…»
Eigentlich ein Typischer Dialog mit einem, wie es Jaspers mal genannt hat, aktiven Agnostiker. Und doch hat sich auf der vorletzten Seite dann noch dieser Satz eingeschlichen:
«Alles, was Du liebst, ist dort, alles, was Du nicht liebst, ist nicht dort, sagt Peter»