Mittwoch, 27. Dezember 2023

Vom Ende der Einsamkeit - Benedict Wells

 

Auf der Suche nach neuen Autoren, welche ich lesen könnte (denn wenn mir ein Autor gefällt, lese ich meist alles von ihm) bin ich letzte Woche im Buchladen an diesem Buch hängen geblieben. So richtig hängen geblieben bin ich dann aber im Wintergarten bis früh in die Morgenstunden, in denen ich langsam und zelebrierend die letzten Seiten des Buches habe auf mich wirken lassen.

 

Ein Buch, welches ich genossen habe wie schon lange kein anderes mehr und mit welchem ich mir jetzt in meinem Blogeintrag aber auch schwertue. Ich möchte eigentlich nicht den Inhalt des Buches wiedergeben. Das tut der Klappentext schon zur Genüge. Mehr braucht es nicht – denn obwohl die Handlung sich kurzweilig entfaltet, die Charaktere plastisch hervortreten und man wie automatisch in ihre Phänomenologie mit eintaucht lebt, das Buch von ganz vielen verstreuten grossen und kleinen Schätzen wie z.B. folgender:

 

«Das Gedächtnis ist ein geduldiger Gärtner, und der winzige Samen, den ich an jenem Abend im Internat in meinen Kopf gelegt habe, ist im Laufe der Jahre zu einer prächtigen Erinnerung herangewachsen.»

 

Ich finde dies eine wunderschöne Beschreibung der Konstruktivität unserer Erinnerung. Eine Konstruktivität, die z.B. Loftus et. al. aus wissenschaftlicher Sicht auch im Hinblick auf die Implikationen auf unser Rechtssystem beleuchten. Bei Wells liegt der Schwerpunkt aber auf einem anderen Aspekt. Es geht nicht um die psychologischen Faktoren und Mechanismen (z.B. Schemakongruente Erinnerung, Dissonanz-Theorie, etc.), welche zur Konstruktivität der Erinnerung führen. Vielmehr ist es der unmittelbare Nutzen, welchen die Menschen daraus ziehen die Vergangenheit nicht als Abbild des Geschehenen zu speichern, sondern sie das Erlebte zu jeder Zeit, in der sie sich erinnern je nach Kontext neu erinnern. Es sind die versöhnlichen Aspekte der Konstruktivität unserer Erinnerung, welche uns erlauben, auch Schmerz und Leid in unser Leben zu integrieren, ihnen einen Sinn zu geben und uns damit an Leid nicht zwangsläufig verzweifeln lassen, sondern uns die Chance geben daran zu wachsen. Er knüpft damit direkt an «Das Leben ist anderswo» von Kundera an, der dort seinem Protagonisten Jaromil folgende Worte in den Mund legt: 

 

«Glauben Sie, die Vergangenheit sei, nur weil sie schon geschehen ist, fertig und unabänderlich? Ach nein, ihr Kleid ist aus schillerndem Taft geschneidert, und jedesmal, wenn wir uns nach ihr umdrehen, sehen wir sie in einer anderen Farbe.»

 

Leider habe ich viel zu spät damit angefangen all diese schönen Stellen im Buch zu unterstreichen (etwas, das ich früher immer gemacht habe). Stellen, deren Ästhetik einen berühren und deren Inhalt unseren Verstand und unsere Neugier anregen. 

 

Darum zum Schluss nur noch ein Zitat, welches sich Wells von Bob Dylan geborgt hat:

 

«You can’t be wise and in love at the same time»

 

Ein Satz, über welchen man in vielerlei Hinblick nachdenken kann. Welche Pille würdest Du wählen? Die Rote oder die Blaue?


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