Samstag, 13. Februar 2010

Gedanken zur Melancholie II

Eigentlich ist es schon wieder viel zu spät aber irgendetwas in mir weigert sich vehement mich ins Bett gehen zu lassen, obwohl ich sehr müde bin. Aus den Lautsprechern erklingt die Filmmusik zu Schindlers Liste und ich merke, wie Musik und Gefühle sich gegenseitig bedingen. Die Gedanken versinken immer tiefer und finden, im Geleit der Musik, ihren Ausdruck in einer aufziehenden Melancholie. Ich blättere im Blog zurück und wundere mich, wie lange es her ist, dass ich den letzten Eintrag zur Melancholie geschrieben habe; Gefühlsmässig lag dieser Eintrag nicht so weit zurück.

Für Freud ist die Melancholie „seelisch ausgezeichnet durch eine tief schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für die Außenwelt, durch den Verlust der Liebesfähigkeit, durch die Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des Selbstgefühls, die sich in Selbstvorwürfen und Selbstbeschimpfungen äußert und sich bis zur wahnhaften Erwartung der Strafe steigert“.

Eine Definition, die ich als sehr oberflächlich empfinde, da sie vermutlich aus dem Blickwinkel der Gesellschaft einem Ideal Tribut zollt, welches heute ohnehin schon fast zum Ritual des urbanen Seins geworden ist – der Zielstrebigkeit gerichtet auf Glück, Erfolg und Selbstbestätigung.

Ja, schmerzlich ist sie; und sie koppelt uns auch ab von unserer Umwelt. Doch genau damit eröffnet sie uns Tore und Wege weit in uns selbst hinein. Wege, die uns in den freudigen Momenten des Lebens nie aufgefallen wären. Mehr noch, sie nimmt uns an die Hand und führt uns auf diese steinigen Wege unserer Selbst.

Doch Verlust der Liebesfähigkeit? Dieser Gedanke liegt mir sehr fern, denn ich kenne die Melancholie als Schwester der Sehnsucht; und zeigt sich Eine, dauert es meist nicht lange, bis auch die Andere sich zu erkennen gibt. Denn oft ist die Sehnsucht(*) alleine zu schwach um sich gegen die Anästhesie des Alltags Gehör zu verschaffen und so wird auch sie von ihrer Schwester an der Hand genommen. Ja, es sind Momente grosser Verletzlichkeit, doch weit weg sind diese von der von Freud beschriebenen Herabsetzung des Selbstgefühls. Im Gegenteil, all das was durch die Geschäftigkeit des Tages überspielt wurde, darf nun in der Nacht und eingebettet in die melancholischen Klänge der Violine aufbrechen und wahrgenommen werden. Dinge, die uns genau so ausmachen wie unser Ego, welches bestrebt ist, die – für uns ebenfalls lebenswichtige - Anerkennung von aussen zu sichern. Es ist wohl die uralte Dialektik zwischen Sicherheit und Selbstverwirklichung, welche hier am Werke ist. Denn das Pendeln zwischen diesen beiden Polen kommt einer dynamischen Stabilität gleich, die uns einerseits im Lot hält und es uns andererseits erlaubt, die Auslenkungen des Lebens und damit das Leben selbst zu erfahren und nicht aus lauter Bedürfnis nach Stabilität die Nulllinie aufsuchen zu müssen, denn diese ist, in ihrer ultimativen Stabilität(**), unser Tod.

Addendum:

(*) Erst beim Durchlesen der eigenen Zeilen ist mir wieder einmal so richtig klar geworden, was diese Sehnsucht eigentlich ist. Es ist die Sehnsucht zu lieben (und nicht, wie unser Ego uns oft sagt, geliebt zu werden). Natürlich lassen sich diese Beiden nicht voneinander trennen, doch es ist wie das Aussähen von Samen, die je nach dem Boden, auf den sie fallen, entweder spriessen oder eingehen. Ich hoffe ich habe die Offenheit diese wachsenden Pflanzen früh genug zu erkennen um sie zu giessen, obwohl ich meine Augen vielleicht in voller Erwartung auf ein anderes Ackerstück gerichtet habe.

(**) Natürlich hat dies (für meinen Glauben) philosophisch betrachtet nichts mit ultimativer Stabilität zu tun, da das (aktiv agnostische) menschliche Leben und der Tod keinerlei Schnittmenge besitzen.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wenn ich das lese... Ich weiß nicht du sprichst mir einfach aus der Seele