Montag, 29. Dezember 2008

Der blaue Siphon – Urs Widmer

Heute ist ein fauler Tag. Nachdem ich erst spät aufgestanden bin, neben einem Kaffee eMails beantwortet habe, lies ich mir mal wieder die Wanne voll laufen schnappte mir dieses Buch von Urs Widmer und versank in den Fluten.

 

Wer kennt es nicht, das Gefühl im Kino zu sitzen und in eine andere Welt einzutauchen. Eine Welt, die einen mitunter noch ein paar Stunden nach dem Kinobesuch gefangen halten kann. So ähnlich und wohl doch anders ergeht es dem Autor und Ich-Erzähler dieser Geschichte, welcher zusammen mit seiner Frau Isabelle und Tochter Mara im Zürich der frühen 90er Jahre lebt.

 

Nun muss ich aber wohl erklären, was ich mit ‚so und wohl doch anders’ meine. ‚So’ weil er ebenfalls nach einem Kinobesuch in eine andere Welt versunken war. Eigentlich war es durchaus seine eigene Welt - nur eben 49 Jahre früher. ‚Anders’ weil er auf magische Weise durch seine alte Welt schreitet und mit ihr in einer Art und Weise wechselwirkt, wie er es nur könnte, wenn er sich real in ihr befindet. Doch spätestens, als er beim Weg zurück in seine jetzige Welt nicht alleine durch die Türe der Zeit schreitet, verliert sich der Konjunktiv im vorherigen Satz.

 

‚Der Blaue Siphon’ ist ein interessantes Buch, welches am Anfang etwas Konzentration erfordert, um die Zeitbezüge zu verstehen und richtig einzuordnen. Schnell wird das Prinzip jedoch klar und es liest sich flüssig und interessant. Und doch hat mich das Buch nicht so stark angesprochen, wie es das mit dieser Geschichte hätte tun können. Über viele Stellen hinweg fand ich es fast zu sachlich erzählt. Oft hätte ich mir gewünscht ein wenig in den Gefühlen der Menschen zu verweilen, ihnen zu folgen, sie auch auf dieser Ebene zu verstehen. Wer bekommt denn schon die Chance seinem Kindermädchen, in welches man verliebt war, als erwachsener Mann in ähnlichem Alter gegenüber zu stehen oder seiner zukünftigen Frau im Alter von zwei Jahren zu begegnen. Hier hätte ich mir mehr erwartet, denn das Gerüst der Geschichte ist wunderbar und würde so viel mehr Potential bieten.

Mittwoch, 24. Dezember 2008

Gut gegen Nordwind – Daniel Glattauer

Eigentlich wollte Emmi Rothner lediglich ihr Abonnement einer Zeitschrift aus dem ‚Like’ Verlag kündigen. Doch beim Tippen der eMail-Adresse war die linke Hand der ehemaligen Linkshänderin schneller als die Rechte, was dazu führte, dass sie mit Leo Leike in Kontakt kam. Ein Kontakt, der die ersten Monate eher spärlich verläuft. Doch mehr oder weniger zufällig und ohne jede Intention, entwickelt sich ein immer intensiverer eMail Verkehr, welche das Leben der beiden Unbekannten immer stärker beeinflusst und steuert.

 

»Im Ernst: Eine Frau, die über uns sagt: „Wenn es gut für Dich ist, ihr zu schreiben, dann schreibe ihr“, die ist kilometerweit von dem entfernt, was ich unter Liebe verstehe. Marlene liebt Leo nicht. Leo liebt Marlene nicht. Beide Nicht-Liebenden schöpfen aus der Sehnsucht nach der Liebe des anderen ihre Leidenschaft. So, klüger kann ich’s nicht. Ich muss jetzt arbeiten. Bis bald. Emmi, die virtuelle Alternative.«

 

Mich hat das Buch schon nach den ersten Seiten gefesselt und so war ich schon etwas traurig, als ich nach 3 ½ bereits die letzte Seite umblätterte. Es ist witzig und geistreich geschrieben und lässt vor den Augen des Lesers, der lediglich Zeuge der eMails zwischen den Beiden ist, ein Bild aus den Farben der Sehnsüchte, der Ängste und der Menschlichkeit auf einer Leinwand der Virtualität entstehen. Ein wirklich tolles Buch, welches sich einerseits flüssig und total einfach liest und andererseits doch sehr viel über uns Menschen und unsere Sehnsüchte aussagt. Unbedingt lesen!

 

Lustig ist vielleicht auch noch, dass ich dieses Buch von jemandem empfohlen bekommen habe, die ich ebenfalls auch nur virtuell kenne ;-)

Donnerstag, 18. Dezember 2008

Als das Meer verschwand – Brad McGann

Eigentlich hatte ich heute Abend vor früher ins Bett zu gehen, denn auch die letzten Tage ist es eher später geworden. Doch als ich aufwachte und so langsam zu mir kam, lag ich auf dem Sofa im Wohnzimmer und betrachtete, ohne das Bewusstsein einen Film zu sehen, die Bilder im Fernsehen vor mir. Zwar erstreckte sich diese Phase zwischen Schlaf und Film in realer Zeit gemessen wohl nur über ein paar Momente. Doch diese Momente genügten, um mich in einem Zustand zu halten, in dem man fast wie verwachsen mit den Bildern, den Stimmungen und Gefühlen der Schauspieler von der Handlung des Filmes hinfortgetragen wird.

 

Es war die Ruhe und Stille, speziell der Momente, in denen Paul und Celina sich zwischen all den Büchern gegenüber sassen, die jeglichen Lärm des Alltags durchbrach. Es genügten oft wenige Worte oder Gesten um das auszudrücken, was die Charaktere in sich bargen und so waren es oft die wortlosen Momente zwischen den Dialogen, die eine tiefe Empathie erst ermöglichte. Aber nun zum Inhalt des Films.

 

Nach 17 Jahren, in denen Paul als Kriegsberichterstatter weit weg ab seiner Heimat lebte, ist es die Beerdigung seines Vaters, die Paul zurück in seine Heimat bringt. Eine Heimat, in der die Uhren langsamer zu gehen scheinen als im Rest der Welt. Eine Heimat, deren Einwohner ihn alles Andere als willkommen heissen. Doch es ist weniger die Unterschiedlichkeit der beiden Welten, als die eigene Geschichte, die Paul auf stillen Füssen zurück in die Heimat folgt, welche eine stille Feindseligkeit heraufbeschwört. Inmitten dieser Stimmung lernt Paul Celia, die Tochter seiner früheren Freundin kennen. Es entsteht eine tiefe Freundschaft, die von vielen argwöhnisch beäugt wird und so werden auch schnell eben diese Stimmen laut als Celia spurlos verschwindet.

 

‚Als das Meer verschwand’ ist ein ruhiger Film. Ruhig in der Art, wie er erzählt wird, ruhig und sensibel in seinen Bildern und Tönen. Es ist ein Film, der eine Atmosphäre jenseits der fast schon üblich gewordenen Effekthascherei entstehen lässt. Es ist fast schon erstaunlich, um wie viel stärker die Tragik uns berührt, wenn sie uns nicht ob ihrer Gegenwart zu überzeugen versucht, sondern einfach nur anwesend ist. Oftmals scheinen es die leisen Worte und Gesten zu sein, die unsere grösste Traurigkeit und tiefste Melancholie am besten beschreibt.

Mittwoch, 3. Dezember 2008

Die letzte Liebe des Monsieur Armand – Françoise Dorner

Die Einsamkeit hat viele Gesichter und zweien davon begegnen wir in dieser kurzen Geschichte von Françoise Dorner. Zum einen ist da der seit einiger Zeit pensionierte Monsieur Armand, der früher für seine Bücher und die Philosophie gelebt hat, dem jedoch all dies nach dem Tot seiner Frau nichts mehr geben kann. Zum anderen treffen wir auf die 20 jährige Pauline, die auf der Suche nach Geborgenheit und menschlicher Nähe unermüdlich neue Anläufe macht, nur um sich kurz danach wieder enttäuscht zurück zu ziehen. Diese beiden so unterschiedlichen Charaktere treffen bereits auf den ersten Seiten des Buches zusammen und gehen schnell eine Art Symbiose miteinander ein, bei der der Leser, sollte er deren Natur benennen, wohl immer wieder zwischen einer Art von Liebe und einer Zweckgemeinschaft schwanken würde.

 

»Nocheinmal dachte ich über unsere Begegnung nach. Zwei Einsamkeiten, die zueinander finden, deren eine die Spielregeln kennt, Intelligenz und Bildung über Alles stellt, Herz und Güte der moralischen Pflicht opfert, während die Andere, instinktiv und empfindsam, spontan Liebe und Aufmerksamkeit zu schenken weiß, ohne daß Mißverständnisse  aufkommen.«

 

Eigentlich, so mag man am Anfang meinen, haben beide ihr Rezept gefunden um sich im Leben zurecht zu finden, doch über die Seiten des Buches hinweg erfahren wir immer mehr über die Risse im Bild, dringen immer tiefer in den eigentlichen Menschen mit all seinen Sehnsüchten und Ängsten ein und langsam wird offensichtlich, dass beide in ihrer Situation gefangen sind. Nicht weil sie nicht wissen, wie sie ihr entrinnen sollen, sondern weil sie nicht bemerken, dass sie gefangen sind. Doch beide scheinen katalytisch aufeinander zu wirken und so fangen sie an zu erahnen, welche neuen Wege sich ihnen öffnen sobald sie liebgewordene Erklärungsmuster und Gewohnheiten hinter sich zurück lassen um Neues auf sich wirken zu lassen.

 

Für mich wirkte das Buch nicht über seine Sprache, denn diese ist schnörkellos direkt und an manchen Stellen schon fast un-empathisch beobachtend, doch genau diese Sicht- und Erzählweise erlaubt es dem Leser und später auch den Protagonisten, die eigenen (irr-) Wege zu erahnen um sich auf Neues einzulassen. Natürlich war dies ein sehr grosser Unterschied zu dem letzten Buch welches ich gelesen habe (Das Spiel des Engels), denn hier übernimmt die Sprache einen grossen Teil der Dramaturgie. Von daher hätten mir Monsieur Armands und Paulines Einsichten wohl näher kommen können, wenn ich ihnen zu einer anderen Zeit begegnet wäre. Doch trotzdem hat mir dieses Buch gut gefallen. Einzig beim Schluss frage ich mich, ob es nicht noch, auf erzählerischer Ebene elegantere und auf inhaltlicher Ebene konstruktivere Wege gegeben hätte, wie die Protagonisten ihre Einsichten hätten umsetzen können. Und trotzdem ist es ein lesenswertes Buch.