Mittwoch, 27. August 2008

Im Durcheinanderland der Liebe – François Lelord

Als ich vor etwas mehr als einem Monat wieder einmal durch eine Buchhandlung gestreift bin, war ich erfreut ein neues Buch von Lelord zu entdecken, denn bisher habe ich alle Bücher von ihm gelesen und immer wieder haben sie mir gefallen.

Bei ‚Im Durcheinanderland der Liebe’ handelt es sich jedoch nicht um ein neues Buch von Lelord. Vielmehr erschien dieses Buch bereits in 2003 nach seinem grossen Erfolg mit ‚Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück’ in französischer Originalsprache. Übersetzt ins Deutsche wurde es jedoch erst jetzt in 2008.

Bisher konnte man Lelords Bücher in zwei Kategorien einteilen. Die populärwissenschaftlichen (‚Der ganz normale Wahnsinn: Vom Umgang mit schwierigen Menschen’, ‚Die Macht der Emotionen: und wie sie unseren Alltag bestimmen’ und ‚Die Kunst der Selbstachtung’) sowie die naiv, im Stile des kleinen Prinzen geschriebenen (‚Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück’, ‚Hector und die Geheimnisse der Liebe’, sowie ‚Hector und die Entdeckung der Zeit’). Während sich ‚Im Durcheinanderland der Liebe’ wohl eher an letzterer Kategorie orientiert, scheint der Schreibstil doch etwas erwachsener als bei den drei Hector Büchern.

In diesem Buch beschreibt Lelord die westliche Welt am Beispiel Frankreichs aus der traditionellen Sicht eines Inuk (Singular von Inuit) und erschafft aus dieser kulturellen Spannung heraus ein teils sehr groteskes Bild unserer Umwelt. Das Buch ist sehr flüssig und leicht zu lesen und mir persönlich hat es wirklich Spass gemacht. Umso erstaunter war ich, als ich darauf die grosse Bandbreite an Rezessionen bei Amazon gelesen habe. Diese reicht von ‚Genial’ bis zu ‚Machohaft’, ja sogar ‚Rechtsradikal’ und ist in dieser Vehemenz für mich unverständlich.

Genau wie unser Auge Unterschiede und Kontraste besser wahrnehmen kann als Absolutwerte, so gelingt es Kontasten auch eher unseren Verstand anzuregen. Wenn man also unsere heutige westliche Welt durch eine sehr kontrastreiche Brille einer alten Kultur sieht, so geht es weniger um die normative Kraft einer solchen Brille als die sich hervorhebenden Phänomene unserer Gesellschaft, die augenfällig werden.

Alle, denen die Hector-Bücher gefallen haben, werden sicher auch ihre Freude an ‚Im Durcheinanderland der Liebe’ haben. Ich fand das Buch sehr kurzweilig und manche Stellen haben mich auch etwas nachdenklich gestimmt. Abschliessen möchte ich aber mit einem Zitat, welches mir besonders gut gefallen hat:

[Marie-Alix]: „Ich bin jetzt glücklich, auch wenn die Erinnerungen bleiben. Aber man kann nicht alle Arten von Glück zur selben Zeit verspüren.“ Ulik antwortete: „Man kann sie nicht alle zur selben Zeit verspüren, aber in der Erinnerung werden sie niemals verblassen.“

Dienstag, 26. August 2008

Saturday - Ian McEwan

Heute habe ich wieder einmal ein Buch von Ian McEwan gelesen. Wenn ich mich recht erinnere, war das letzte Buch, welches ich von ihm gelesen habe ‚Abbitte’ und gleich vorweg, ‚Saturday’ kommt in meinen Augen nicht an ‚Abbitte’ heran. Und trotzdem war es ein gutes und interessantes Buch welches ich für Leser, die McEwan kennen weiterempfehlen kann.

Nun aber zum Buch. Überzeugend malt McEwan die Welt des anerkannten Neurochirurgen Henry Perowne. Mit 48 ist Henry auf der Spitze seines Erfolges und geniesst die Anerkennung und seinen Erfolg. Auch sein privates Umfeld lässt nichts zu wünschen übrig. Mit seiner Frau Rosalind führt er eine glückliche und erfüllte Ehe und ihre beiden Kinder Daisy und Theo scheinen auch ihren Platz in der Welt gefunden zu haben. Während Daisy gerade in Paris lebt und auf bestem Wege ist, eine bekannte Dichterin zu werden lebt Theo noch bei seinen Eltern und macht sich als Blues-Gitarrist einen Namen.

Wie so oft in den Büchern von McEwan versteht dieser es, eine heile und sichere Welt authentisch und glaubhaft darzustellen um diese sodann zum Einsturz zu bringen oder zumindest existenziell an ihren Grundmauern zu rütteln. Und auch in ‚Saturday’ schafft McEwan es, das Unheil langsam am Horizont aufsteigen zu lassen, so dass selbst eine heile Welt ihre Schatten wirft, denn es sind die Schatten des Menschseins und der damit verbundenen Sinnsuche und Daseinsberechtigung.

"Und welch ein Luxus ist es doch, daheim in der Küche über geopolitische Schachzüge und militärische Strategien zu philosophieren, ohne dafür von Wählern, der Presse, Fremden oder gar der Geschichte verantwortlich gemacht zu werden. Wenn keine Konsequenzen drohen, ist es nur ein interessanter Zeitvertreib, wenn man sich irrt."

Auf der einen Seite der sehr menschliche Wunsch sich selbst und seinen Liebsten eine Umgebung zu erschaffen, in welcher alle Beteiligten sich wohl fühlen und aufs beste gedeihen können und oft diametral entgegengesetzt das Unglück von so vielen Menschen auf dieser Welt schafft eine explosive Mischung Beim Zusammentreffen dieser beiden Welten, so dass sich die Frage nach dem Sinn des Lebens unweigerlich selbst in den Mittelpunkt rückt. Es liegt nun an uns dieser Frage gerecht zu werden und sie nicht einfach mit unseren Ängsten und Befürchtungen abzuspeisen, sondern basierend auf unseren innersten Werten eine individuelle Antwort zu finden.

Ich vermute Henry Perowne hat dieser Frage ins Auge geschaut und am Ende des Buches zumindest den Hauch einer Antwort für sich gefunden. Beenden möchte ich diesen Blogeintrag aber mit einem Zitat aus dem Buch, welches mir sehr gut gefallen hat, wobei ich es nicht auf Geisteswissenschaftler begrenzen möchte, sondern seine Anhänger quer durch die Bevölkerung hinweg suchen würde:

„Doch für die Professoren an der Uni, wie allgemein für die Geisteswissenschaftler, eignet sich das Elend besser zur Analyse: Das Glück ist eine Nuss, die schwer zu knacken ist.“

Freitag, 8. August 2008

Tau von den Bermudas – Peter Sloterdijk

Eigentlich ist dies das zweite Buch von Sloterdijk, welches ich in letzter Zeit gelesen habe. In einer Philosophiesendung habe ich neulich ein Interview mit Sloterdijk gesehen, in welchem er über sein Buch „Gottes Eifer: Vom Kampf der drei Monotheismen“ sprach. Dieses Buch habe ich daraufhin gelesen, bin aber einfach noch nicht zum Blogeintrag dazu gekommen, da ich das Buch als relativ komplex und anfordernd empfunden habe und die Zusammenfassung somit einfach mehr Zeit in Anspruch nimmt.

In der Einleitung zu „Tau von den Bermudas“ greift Slolterdijk den von Carl Schmitt geprägten Begriff des „Zeitalters der Neutralisierung“ auf, indem er sich fragt, wie das Zeitalter, in welchem wir leben, wohl aus einer historischen Perspektive genannt werden würde. Doch während der Trend zur Entpolarisierung, Zweideutigkeit oder Anerkennung der Komplexität und damit verbundenen teilweisen Absenz von allgemeingültigen Handlungsvorschriften von Carl Schmitt als „Untergang des Abendlandes“ gedeutet wurde, sieht Sloterdijk darin eher emotionslos den Wechsel hin zu neuen Paradigmen, welche die heutige Welt regieren. Im letzten Kapitel des Buches leitet Sloterdijk dies auch überzeugend auf die den derzeitigen Zeitgeist über, welcher immer stärker von Information als knappem Gut hin zur Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit als knappes gut steuert (wer soll denn all diese kuriosen Blogeinträge noch lesen ;-) ).

„Sie wissen es längst, meine Damen und Herren, ich spreche vor allem von Carl Schmitt, dem letzten Samurai der Entschiedenheit für das Eine von Zweien. [...] Für Liebhaber klarer Verhältnisse ist diese Welt längst unrettbar krank, wie von einem Pilz befallen, der Konturen tilgt. Selbst die erhabensten Begriffsgegensätze von früher sind amorph geworden [...] Die Orientierung am Feind verfällt, wir bleiben in der Mehrdeutigkeit allein zurück, ratlos.“

Parallel weißt Sloterdijk jedoch auch darauf hin, dass für diese neue Strömung in unserer Denkensweise und unserem Sprachgebrauch nur unzureichende Grammatiken vorhanden sind um adäquate Beschreibungen zu finden.

„Wie leben in einer logischen Dämmerung, irgendwo zwischen spätaristotelisch und frühkomplex, aber das neue Denken hat bislang weder Autorität noch Kontur, weswegen wir bei allen unseren theoretischen Unternehmungen zum Unbehagen verurteilt sind, weil offenliegt, wie sehr wir mit jedem Gedanken in antithetische Primitivismen verstrickt bleiben.“

In den folgenden Kapiteln beschreibt Sloterdijk die Ontogenese von fünf Stadien der Weltgeschichte in Hinblick auf das Zusammenwirken von Phantasie und gewachsener Realität. Es sind dies:

1. Das Weltalter des Mythos
2. Die Ära der christlichen Einbildungskraft
3. Der phantasmatische Motor der Neuzeit
4. Die komplementäre Poetik der Reduktion und Verarmung
5. Der Übergang der neuzeitlichen Expansionskultur in die posthistorische Kombinationskultur

Anhand historischer Dokumente, welche den Zeitgeist der betreffenden Epoche widerspiegeln, deutet Sloterdijk an, was der Menschheit alles möglich umzusetzen war dank Kraft der Phantasie als Batterie des Fortschrittmotors. In bestechender Sprache und wirklich geistreich beschreibenden Analogien regt dieses Buch mehr an sich selbst Gedanken über die Thematik des Komplexen zu machen als einfach nur erfahren zu wollen, was der Autor darüber denkt. Natürlich war es auch interessant, wie Sloterdijk die Phänomene sieht, doch wie oft habe ich das Buch nach nur ein paar Sätzen zur Seite gelegt und bin meinen Gedanken gefolgt, die durch dieses Buch auf den Weg geschickt wurden. Selten kommt es vor, dass ich ein Buch nachdem ich es gelesen habe gleich noch mal gelesen habe, doch dieses Buch war es auf alle Fälle wert mehrmals zu lesen.