Freitag, 16. Februar 2024

Unsere Seelen bei Nacht – Kent Haruf

 

Auf dieses Buch bin ich ganz durch Zufall gestossen als ich in der Buchhandlung wieder mal nach neuen Inspirationen gesucht habe. Zuvor hatte ich noch nie etwas von Kent Haruf gelesen oder von ihm gehört aber der Umschlagtext hat mich einfach angesprochen. Und nun bin ich richtig froh, dass ich es mitgenommen habe, denn es war einfach ein Genuss das Buch zu lesen. Normalerweise mache ich beim Lesen immer wieder Pausen, denke über das Gelesene nach, streiche mir Passagen an und schreibe mir Gedanken zu diesen Passagen ins Buch. Bei diesem Buch war ich aber einfach im Lesefluss und wollte in jenem Fluss bleiben. 

 

Haruf schreibt in schnörkellosen geraden Sätzen, völlig unaufdringlich und doch so differenziert beschreibend. Seine Charaktere sind so gut greifbar. Einfach schön zu lesen. Ich habe mir bereits weitere Bücher von Haruf bestellt und freue mich schon drauf sie zu lesen. Aber nun zum Inhalt.

 

Addie Moore und Louis Waters sind Nachbarn in der kleinen amerikanischen Stadt Holt in Colorado. Beide sind vermutlich in ihren Sechzigern und haben ihre jeweiligen Partner bereits verloren. Viel über die normalen Nachbarschaftlichen Begegnungen hinaus scheinen sie in den letzten Jahren nicht miteinander zu tun gehabt zu haben. Umso erstaunlicher ist es, dass Addie Louis relativ unvermittelt vorschlägt bei ihr im Bett zu übernachten. Nichts Romantisches – Einfach zu zweit gegen die Einsamkeit. Louis willigt ein und so begibt er sich die folgenden Nächte, zuerst durch den Hintereingang, dann aber mit immer grösserer selbstverständlichkeit durch den Vordereingang zu Addie. Dies bleibt im kleinen Holt zwar nicht lange geheim aber nach anfänglichem Zögern scheinen Addie und Louis sogar Freude daran zu finden als unkonventionell angesehen zu werden, auch wenn sie im kleinbürgerlichen Holt damit nicht überall auf Verständnis stossen. Haruf beschreibt diese Nächte so zart, selbstverständlich und fern ab von jeder (sexuellen oder romantischen) Aufregung. Zwei Menschen, die auf viele Erfahrungen in ihrem Leben zurückblicken und denen dadurch umso klarer ist, was ihnen in ihrem Leben wichtig ist, wie sie es leben wollen. Mit oder ohne Billigung der Gesellschaft.

 

Als Addies Sohn Gene und seine Frau sich trennen, kommt Addies Enkel Jamie über die Ferien zu Addie nach Holt. Wie auch Gene von den Ereignissen seiner Vergangenheit geprägt wurde, leidet auch Jamie unter den Konflikten zwischen Gene und seiner Frau. So dauert es, bis Jamie sich öffnet. Er findet jedoch mit Addie und Louis den Halt, die Sensibilität, die Stabilität und die Liebe, die ihm so gut tut. Doch dann machen Gene und seine Frau einen neuen Anlauf ihre Beziehung zu kitten und holen Jamie wieder zu sich. Als Gene ihn abholt ist dies der Anfang vom Ende des Lebens, wie Addie und Louis es sich aufgebaut haben. Beide erleiden einen (unterschiedlichen) Verlust, an dem man auch zerbrechen könnte und während der Leser noch dem Verlust nachtrauert haben Addie und Louis sich bereits in der neuen Situation zurechtgefunden. Sie leiden zwar auch auf ihre Art, aber ohne jede Dramatik und ohne jegliches existentialistische Moment. Das Leben scheint ihnen viel zu kostbar als es damit zu verschwenden, um es selbst zu trauern.

 

Dies hat mich während den letzten Zeilen an ein Zitat aus «Il Gattopardo» von Giuseppe Tomasi di Lampedusa erinnert:

 

«Wenn wir wollen, daß alles so bleibt, wie es ist, muss alles sich ändern

 

Kein einfaches Unterfangen, neigen wir doch dazu das Gute konservieren und erhalten zu wollen, auf dass es uns möglichst auf alle Zeit hinaus Sicherheit und Geborgenheit garantieren soll.

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