Sonntag, 30. November 2008

Das Spiel des Engels – Carlos Ruiz Zafón

Ich kann mich noch gut an die heissen Sommernächte des Jahres 2003 erinnern, als ich völlig gefesselt in meinem Bett lag und bis spät in die Nacht ‚Der Schatten des Windes’ gelesen habe. Wie versunken bin ich damals Daniel Sempere gefolgt, der den Geheimnissen des Buches, welches im Friedhof der vergessenen Bücher auf ihn gewartet hatte, nachgegangen ist. Die plastische Detailtreue der Figuren und Handlungen, wie auch der fast schon poetische Schreibstil Zafóns erschufen eine mystische Welt, die mich völlig in ihren Bann zog und alles um mich herum vergessen liess.

 

Nun gibt es seit einigen Tagen die deutsche Übersetzung des neuen Romans von Zafón, welche ich mit Spannung und Neugier erwartet habe. Spannung, weil ich mir gewünscht habe, wieder in solch eine geheimnisvolle aber gleichzeitig gefühlvolle und zutiefst menschliche Welt zurückversetzt zu werden. Neugierig, weil ‚Der Schatten des Windes’ unglaublich breite Schatten wirft, in denen so manch guter Roman sang- und klanglos untergehen würde.

 

‚Das Spiel des Engels’ ist vom Stil her durchaus unterschiedlich zu ‚Der Schatten des Windes’. Grosse Teile des Romans sind weitaus mystischer und phantastischer und erinnern in ihrem Inhalt stellenweise stark an Faustisches Gedankengut. Doch um die Leser meines Blogs nicht weiter auf die Folter zu spannen, ich finde das neue Buch von Zafón einfach G E N I A L. Wie kaum ein anderes Buch zuvor, hat es mich wieder dieser Welt entrissen. Während der drei Tage, die ich dieses Buch gelesen und jede freie Minute damit verbracht habe, sind mir die Charaktere des Buches so ans Herz gewachsen, dass es richtiggehend schmerzt, sie auf den letzten Seiten ziehen zu lassen. Wohl auch weil jede der Charaktere zutiefst menschliche Erfahrungen in uns selbst verkörpert.  Die Tragik um den Verlust der grossen Liebe. Die Freude und Kraft einer tiefen Freundschaft, deren Fürsorge und Achtsamkeit an eine Liebe ohne Verlieben grenzt. Unsere Träume und Wünsche, die uns wie Leuchtfeuer durch unser Leben begleiten und denen wir oft beliebig nahe kommen und sie doch nie ganz erreichen. Unsere einstigen Idole, die über Zeit und Erfahrung hinweg ihren Glanz verlieren und denen wir uns dennoch verbunden fühlen um sie eines Tages vielleicht sogar wieder entdecken zu können (dann jedoch mit neuen Seiten an ihnen, die wir bisher nie richtig wahrgenommen haben). Die verschiedenen Facetten in uns selbst, die jede für sich berechtigt und eigenständig, einen ständigen Kampf austragen und uns damit unsere Menschlichkeit erschliessen. All das sind die Charaktere, die dieses Buch so lesenswert machen und die uns dort abholen, bei dem was wir sind, und uns mit auf ihre Reise nehmen.

 

Ein wirklich wunderbares Buch, das ich nur allen ans Herz legen kann. Besonders die Leser, die ‚der Schatten des Windes’ gelesen haben, werden auf den letzten Seiten erfahren, wie diese beiden Bücher zusammen gehören. Zwar ist deren Verwandtschaft schon von den ersten Seiten her offenkundig, doch die genaue Beziehung enthüllt sich erst in tragischer Weise auf den letzten Seiten und ist damit natürlich in sich schon sinnbildlich, denn aus eben dieser Tragik wird die Grundlage für ‚Der Schatten des Windes’ geboren.

Mittwoch, 19. November 2008

Die Unendliche Geschichte – Michael Ende

Inspiriert durch den Namen Fuchur, machte ich mich neulich auf den Weg in die Buchhandlung, um mir die unendliche Geschichte von Michael Ende zu kaufen. Ich hatte zwar schon viel über das Buch gehört, die Filmstudios in Babelsberg besucht und dort unter Anderem auch Fuchur gesehen und sein flauschiges Fell gestreichelt, doch gelesen habe ich das Buch nie. Mit wirklich grosser Vorfreude habe ich mich dann vorgestern Abend ins Bett gelegt und angefangen zu lesen.

 

Die ersten Kapitel vergingen wie im Fluge und schnell war ich zurückversetzt in meine eigene Kindheit. Nach einer Weile machte ich eine kurze Pause, drehte eine der Birnen meiner Deckenbeleuchtung heraus und zündete dafür meinen fünfarmigen Kerzenleuchter, wie auch die beiden Fackeln über dem Kopfende des Bettes an. Danach mischte ich Vanille, Kokos und Zimt zu einer neuen Mischung für meine Duftlampe und legte mich wieder ins bett zum Lesen.

 

Auf Seite 88 begegnete mir dann der Glücksdrache Fuchur zum ersten Mal, was mich etwas schmunzeln lies und mich an meine Schulzeit in Singapur erinnerte, denn die 8 ist im Chinesischen die absolute Glückszahl und damit die 88 um so mehr. Ich mag solche kleinen Zufälle. Erstaunt war ich auch, als Bastian ein paar Kapitel später einen Kerzenleuchter mit 7 Kerzen anzündete um in der Dämmerung weiter lesen zu können. Denn einerseits brannten zu diesem Zeitpunkt in meinem Zimmer ebenfalls sieben Kerzen und andererseits war dies in etwa der Zeitpunkt, an dem Bastian realisierte, dass er Teil der Geschichte selbst war. In etwa so, wie ich mich selbst beim Lesen der Geschichte verbunden fühlte.

 

Auch jetzt, nachdem ich die letzten Seiten umgeschlagen habe, klingen immer noch viele Dinge in mir nach und ich höre zum Beispiel noch gut die Reime der Uyulála in meinen Ohren widerhallen. Wie leise Worte, die in einem Gewölbe gesprochen werden, erinnert sie mich an das, was ich vor ein paar Tagen am offenen Grab meiner Oma gefühlt habe.

 

»Über Berg und Tal, über Feld und Flur
werd ich vergehen, verwehen -
Ach, alles ereignet sich einmal nur,
aber einmal muss alles geschehen ... «

 

Auf eine kurze Inhaltsangabe habe ich diesmal in meinem Blog absichtlich verzichtet, denn erstens ist, wie wir auf den letzten Seiten vom Buchhändler Karl Konrad Koreander erfahren, »Jede wirkliche Geschichte [ist] eine Unendliche Geschichte.« und andererseits kommt es bei solchen Geschichten mehr als deren Inhalt darauf an, wie sie geschrieben sind und was sie dadurch in uns auslösen.

 

Wie lassen sich tiefe Gefühle und Erfahrungen am besten vermitteln? Wenn wir sie analytisch beschreiben und möglichst deskriptiv festhalten wollen, so verlieren sie ihren Zauber und werden zu Plattitüden.

 

Wer hat nicht schon das Gefühl erlebt plötzlich, wie aus dem Nichts, ganz tief aus dem Bauch heraus endlich etwas verstanden und gefühlt  zu haben. Etwas, nach dem man schon lange suchte und es rein kognitiv vielleicht sogar schon wusste. Etwas, das sich jedoch bisher nie in einem selbst vom Wissen zum Verstehen und Fühlen durchringen konnte. Man schwelgt in seiner neuen Erkenntnis, kostet sie aus und sobald unser momentaner Durst an ihr gesättigt ist, kommt der Wunsch auf, sie dauerhaft zu erhalten. Einerseits, um selbst immer wieder darauf zurückgreifen zu können und andererseits um nahen Menschen etwas davon abgeben zu können. Wir schreiben die Gedanken auf, beschreiben sie im Detail, so dass sie stimmig und im Gleichklang mit unserem Gefühl sind. Doch wenn wir unsere Worte ein paar Tage später wieder lesen, so klingen sie oft nur noch wie Plattitüden. Wie Dinge, die wir eigentlich schon lange wussten. Der Übergang vom Wissen zum Fühlen ist wieder abhanden gekommen. Die Worte haben ihre Magie verloren (Ebenso ist es übrigens, wenn man Menschen einen Ratschlag auf  der Basis eigener Erfahrungen erteilt, ohne vorher sich in ihre Haut eingefühlt zu haben und sich selbst dabei gänzlich zur Seite gelegt zu haben).

 

Wie kann man aber solche Gefühle vermitteln? Ich finde, dies zeigt uns die Unendliche Geschichte wunderbar. Sie zeichnet eine Welt, welche wir Leser mit unseren eigenen Farben zu einem Gemälde vervollständigen. Schon sehr schnell entdecken wir viele Teile von uns selbst in der Geschichte, die wir lesen. Das was geschrieben wurde und das was uns selbst ausmacht vermischt sich zum Mörtel, der die Brücke zwischen dem Verstand und den Gefühlen baut. Die Unendliche Geschichte ist ein wunderbares Malbuch für unsere eigenen Gefühle, Träume und Sehnsüchte.

 

Auch wirklich berührt haben mich die Seiten, auf denen Bastian seinen letzten Wunsch entdeckte. Das hat sehr viele Gedanken und Gefühle in mir selbst ausgelöst.

 

»Doch damit beginnt eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll.«

Montag, 10. November 2008

Die Leiden eines Amerikaners – Siri Hustvedt

Die Bedeutung der Bücher von Siri Hustvedt geht für mich zurück ins Jahr 2003. Ein Jahr in welchem sich mein Leben sehr stark verändert hat und diese Veränderung teilweise mit dem Lesen ihrer Bücher (‚Was ich liebte’, ‚Die unsichtbare Frau’, ‚Die Verzauberung der Lily Dahl’) zusammentrifft. Umso erfreuter war ich, als ich neulich beim Gang durch die Buchhandlung ein neues Buch von Siri Hustvedt entdeckt habe.

 

‚Die Leiden eines Amerikaners’ ist ein fiktionaler Familienroman (mit vielen realen Komponenten aus Siri Hustvedts Familie), in dessen Zentrum der Ich-Erzähler Erik Davidsen steht. Erik, der norwegische Vorfahren hat und dessen Familie als Auswanderer ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten gekommen ist,  arbeitet als Psychiater in Brooklin. Sein Vater ist vor kurzem verstorben und er selber lebt nach einer gescheiterten Ehe in einem Haus, welches eigentlich viel zu gross für ihn ist.

 

Bereits ganz am Anfang des Romans spaltet sich die Erzählung in mindestens zwei Stränge, welche ihrerseits hier und da auch gelegentliche Verästelungen haben. Zum einen erzählt uns Siri Hustvedt die Geschichte um Erik, Miranda sowie ihrer Tochter Eglatine, welche als neue Mieter in der Wohnung über Erik wohnen. Zum anderen werden wir auf eine Entdeckungsreise in die Vergangenheit Eriks Familie mitgenommen, welche in ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart wirkt. Beide Stränge laufen über lange Zeit parallel und werden hauptsächlich durch die Reflektionen und psychologischen Betrachtungen von Eric zusammen gehalten. In der tat spielt auch die Psychologie eine sehr grosse Rolle in Hustvedts Roman. Für manch einen mag dies wohl zu prominent im Zentrum des Romans stehen, doch mir hat das beim Lesen gefallen, auch wenn einzelne Textpassagen vielleicht etwas zu anonym aus dem sie umgebenden Text geragt haben.

 

Allerdings hatte ich am Ende des Buches das Gefühl, dass es in der ersten Hälfte mehr verspricht, als es am Ende einhält. Gegen Ende scheint mir ein Erzählstrang einfach zu versiegen, ohne dass ich dessen Wechselwirkung mit dem Rest des Romans gespürt hätte, was einem Gefühl der Leere Raum gibt. Alles in allem hat es jedoch Spass gemacht das Buch zu lesen, obwohl ich für Leser, die Siri Husvedt noch nicht kennen auf jeden Fall zu erst das Buch ‚Was ich liebte’ ans Herz legen würde.

 

Abschliessen möchte ich mit einem Zitat, welches mir sehr gut gefallen hat und welches einem den Übergang vom Analytischen hin zum Existentialistischen in Form eines Ausrufes der 16 jährigen Sonia augenscheinlich macht.

 

«Ich war damals in schlechter Verfassung. Jetzt bin ich clean. Ich ... ich habe zu mir selbst gefunden.»

«Was immer das bedeutet», sagte Sonia unvermittelt. «Das kriege ich andauernd zu hören. Man könnte meinen, es lägen überall Ichs rum, und warteten nur darauf, aufgelesen zu werden.»

 

Ein Zitat, welches manchen Prozess der Selbstfindung ad acta legt um einen Prozess der Selbstwerdung anzustossen.