Auf dieses Buch bin ich beim Lesen von «Allein» von Daniel Schreiber gestossen. Dort beschreibt er, wie er von einem Hotel in Luzern auf eine dreiwöchige Literatur-Residenz eingeladen wurde, auf die er eigentlich keine Lust darauf hatte, dann aber schlussendlich doch das Angebot annahm – nicht zuletzt, da er kurz zuvor «Hotel du Lac» gelesen hat und davon fasziniert war.
Mir ist es da ganz ähnlich gegangen. Die Art wie Brookner kleine, einzelne Details einer Szene beschreibt, welche dann stellvertretend für die gesamte Szene das Gefühl der Menschen dahinter plastisch und erfahrbar wiedergibt, hat mir sehr gut gefallen. Kurz gesagt, es war eine Freude das Buch, allein vom Schreibstil her, zu lesen. Aber nun zum Inhalt.
Edith Johanna Hope ist in ihren Vierzigern und wohnt in London. Dort schreibt sie unter dem Pseudonym Vanessa Wilde romantische Unterhaltungsliteratur. Von ihrem Freundeskreis wird sie als introvertiert und eher unscheinbar wahrgenommen, ja sogar stellenweise etwas belächelt. Umso höher schlagen die Wellen, als sie sich einen unentschuldbaren faux pas erlaubt, worauf ihr Zwangsferien nahelegt werden, bis wieder Normalität einziehen könne. Um was es sich bei diesem faux pas handelte, erfährt man aber erst Anfang des letzten Viertels des Romans (S.150 in meiner Ausgabe) und so begleitet der Leser Edith ins Hotel du Lac, einem etwas verstaubt antiquierten Hotel am Genfer See, welches «…der Tradition verhaftet, als seine Gäste die Vorsichtigen, Wohlhabenden, Diskreten, Zurückgezogenen, die geachteten Kunden einer früheren Ära des Tourismus willkommen hiess.». Und in der Tat
Fühlte ich mich durch die Beschreibung der Charaktere oftmals eher in einem Roman von Thomas Mann als in einem Hotel der frühen 1980er Jahre, was eine sonderbare, interessante Stimmung erzeugte.
Im Hotel residieren nur wenige Gäste. Da ist die würdevolle und elegante Mme de Bonneuil, eine ältere, vom Schicksal des Lebens gezeichnete Dame, die Edith wohlwollend unterstützt und sie ermutigt eigene Entscheidungen zu treffen. Monica (mit ihrem Hündchen Kiki) ist eine, auf den ersten Blick selbstbewusste und extrovertierte Erscheinung, die ihren aristokratischen Charme jedoch wie einen schützenden Mantel um sich hüllt. Iris Pusey, in jeder Konstellation das selbstverständliche Zentrum der Aufmerksamkeit, ist mit ihrer Tochter Jennifer im Hotel du Lac. Und dann ist da noch Philip Neville. Ein Mann mittleren Alters, der sich charismatisch und selbstbewusst inmitten all der Frauen bewegt.
Feinfühlig und dezent entwickelt Brookner diese Charaktere durch die Augen Ediths. So nimmt diese zu Anfang nur deren zuweilen exzentrisches Verhalten wahr, welches sie – ganz Schriftstellerin – dazu anhält Lebensgeschichten für jeden auszudenken. Peu-à-peu ergeben sich aber immer tiefere Einblicke, die erahnen lassen, welchen Zweck das jeweilige Verhalten im Leben der Person einnimmt und welche Dynamik dadurch zwischen ihnen entsteht. Und während man die Hotelgäste immer etwas besser kennen lernt, so nähert man sich auch Edith und ihrem Wesen. Durch ihre Rückblicke und Briefe lernt man sie immer besser kennen, meint zu erahnen, welchen faux pas sie begangen hat. Eigentlich kennt man sie schon relativ gut, wenn man auf Seite 150 angelangt ist. Ab da ändert sich die Dynamik der Erzählung. Sie wird schneller, irgendwie prägnanter und man ist erstaunt, welche Schlussfolgerungen Edith aus ihren Erfahrungen zieht.
Viel mehr möchte ich eigentlich gar nicht erzählen, denn für mich war es ein Genuss sich in ganz kleinen Schritten den Charakteren zu nähern, sie immer etwas besser zu verstehen – In ihren Handlungen, in ihren Eigenheiten, in ihren Zwängen – in ihrem Leben. Und so rate ich auch dazu das Vorwort von Elke Heidenreich zu einem Nachwort zu machen. Ich bin jedenfalls froh um meine Ungeduld, welche mich gleich in den Roman hat springen lassen – Für mein Empfinden braucht dieser Roman kein Vorwort – Er steht wunderbar für sich alleine. alleine. alleine…